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Meinung: Italiens deutsche Sommer

Flucht nach vorn: Wie Politiker in Rom vom Scheitern ihrer Außenpolitik ablenken

Es war mal wieder Zeit für einen Ausfall. Der letzte Verbalangriff Silvio Berlusconis in Richtung Deutschland liegt bereits zwei Jahre zurück. Unvergesslich der „humoresk gemeinte“ Vorschlag Berlusconis an den SPD-Europaabgeordneten Martin Schulz, er könne in einem Film ja als „Kapo eines Konzentrationslagers“ auftreten. Dazu fügte sich die Polemik von Staatssekretär Stefano Stefani gegen die „besoffenen, grölenden, supernationalistischen“ deutschen Touristen. Jetzt ist wieder Sommerloch, jetzt sind wieder Schlagzeilen sicher, jetzt wird auf den Putz gehauen.

„Erpressung!“, hat Italiens UN-Botschafter Marcello Spatafora geschrien. Ein reicher Staat, faktisch kann es sich nur um Deutschland oder Japan handeln, kürze armen Kindern die Entwicklungshilfe um 400 000 Euro, nur weil sich das Empfängerland den Begehrlichkeiten Deutschlands oder Japans im Weltsicherheitsrat widersetze.

Es waren der Stil Spataforas, sein Ton, seine Aggressivität, die den diplomatischen Skandal hervorgerufen haben. Denn im Grunde genommen hat Italiens UN-Botschafter lediglich ausgeplaudert, was in der internationalen Politik gang und gäbe ist: Entwicklungshilfe wird weltweit höchst selten in uneigennütziger und selbstloser Weise gewährt; meist hängen politische Bedingungen dran.

Und selbst wenn im konkreten Fall die deutsche Regierung unschuldig ist – bis Italien die angedrohten Beweise vorlegt, gilt diese Vermutung –, hätte man sich in Berlin nun nicht so aufregen müssen: Man erleichtert mit derartigen Reaktionen lediglich den Provokateuren die Arbeit.

Und eine Provokation war es. Italien muss irgendwann das Scheitern seiner Außenpolitik registrieren, doch bevor es so weit ist, schlägt man lieber noch einmal kräftig um sich. Auch wenn sich Silvio Berlusconi gerne im Glanz der Allermächtigsten sonnt, auch wenn er sich am liebsten mit George W. Bush ablichten lässt und seinen Urlaub demnächst in Wladimir Putins Datscha verbringt – in Europa wird er als Regierungschef in fast schon peinlicher Weise nicht mehr ernst genommen.

Seine Landsleute spüren das immer deutlicher. Nicht nur, dass der Ministerpräsident international keinerlei Erfolge zu verzeichnen und in Fragen der UN-Reform sein Land ins Abseits manövriert hat – Berlusconis eitle Selbstdarstellungspolitik und die Servilität gegenüber den USA werden nach Ansicht von immer mehr Italienern auch zu einem handgreiflichen Sicherheitsrisiko. Der Terror rückt an Italien heran, nicht nur die eigenen Soldaten im Irak sind bedroht, auch in Rom, Mailand, Venedig, Florenz wächst nach den Anschlägen von London in beklemmender Weise das Gefühl, als Nächste an der Reihe zu sein.

Dazu kommt die Wirtschaftskrise, der Neid auch der Regierung auf „die Deutschen“, die bei den Wachstumsraten trotz allem immer noch besser abschneiden als Italien; dazu kommen die Krise in der Koalition, für Berlusconi persönlich der sich immer deutlicher abzeichnende Niedergang, die ersten Nachfolgekämpfe. Außenminister Gianfranco Fini, der unmittelbare Dienstherr von UN-Botschafter Spatafora, sieht sich einer Revolte in der eigenen Partei gegenüber. Ob er trotz diktatorischen Durchgreifens – er hat soeben alle Spitzenfunktionäre der Alleanza Nazionale abgesetzt – überhaupt noch eine Hausmacht hat, muss sich erweisen.

Mit anderen Worten: Es gibt genug innenpolitische Motive, die außenpolitisch eine Flucht nach vorne erklären können. Zu deren Rechtfertigung allerdings taugen sie nicht. In Italien selbst hat der Versuch, in den UN den starken Mann zu spielen, vorerst seinen Zweck verfehlt. Die Medien des Landes berichten über Spataforas Ausfälle bisher so gut wie gar nicht. Sie werden es jedoch dann tun, wenn der Streit so richtig entbrennt. Aber dazu gehören zwei: der, der provoziert, und jener, der sich provozieren lässt.

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