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Meinung: Jenseits des Privaten

Rocco Buttiglione oder: Welches Führungspersonal wollen wir in Europa?

Ist Kanzler Schröders heutiger Gast der Absteiger des Monats? Im Sommer war ganz Europa voll des Lobs über José Manuel Barroso, weil er in Rekordzeit und ohne öffentlichen Lärm die neue EU-Kommission zusammen hatte. Doch seit Tagen wird er, wo er auftritt, nur eines gefragt: Ob er am umstrittenen Italiener Rocco Buttiglione als Kommissar für Innen- und Justizpolitik festhält. Der Rechtskonservative hatte Homosexualität als „Sünde“ bezeichnet und allein erziehende Frauen als schlechte Mütter beschimpft. Ein Ausschuss des EU-Parlaments hat ihm nach der Anhörung das Misstrauen ausgesprochen. Wird Kommissionspräsident Barroso nun seine Mannschaft oder den Ressortzuschnitt ändern, um ein Scheitern bei der Abstimmung im EU-Parlament zu vermeiden?

Die Angelegenheit ist komplizierter, als sie in Deutschland meist erzählt wird. Und mit ihr verbinden sich sehr grundsätzliche Fragen: Zu welchen Werten darf, zu welchen Werten muss Europas Führungspersonal stehen? Müssen private Überzeugungen und politisches Handeln übereinstimmen? Wie versöhnen wir die unterschiedlichen Wertvorstellungen von 25 Nationen mit verschiedener Kultur, Geschichte, Religion?

Keine Frage, was Buttiglione von sich gibt, klingt für die meisten Deutschen jenseits des Tolerablen. Er hat aber bei den Anhörungen zwei wichtige Unterscheidungen gemacht. Er trennt, erstens, zwischen privaten Überzeugungen und seiner Verantwortung als Politiker. Und, zweitens, zwischen einer Moral, die er aus seinem Glauben ableitet, und den (viel liberaleren) Gesetzen, die er jederzeit verteidigen würde. „Der Staat hat kein Recht, sich in diese Dinge einzumischen“ – auch dieser Satz stammt von ihm.

Der Italiener hat nicht gegen EU-Normen verstoßen. Er hat versichert, dass er Europas Gesetze schützen will, doch hat er – auf ausdrückliche Fragen nach seinen Überzeugungen – aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht. Das war für den Ausschuss für Bürgerrechte Grund genug, ihn abzulehnen – für den Innen- und Rechtsausschuss dagegen einer, ihm das Vertrauen auszusprechen. Und muss man nicht vermuten, dass Buttigliones Sätze, die die Deutschen empören, in anderen, katholisch geprägten Ländern auf Zustimmung stoßen? Wenngleich zu betonen ist, dass diese Haltungen sich keineswegs zwingend aus dem Glauben ableiten lassen und auch nicht der Kirchenlehre entsprechen.

Worum also geht es: um die Verteidigung von Werten oder um Gesinnungsbenotung? Und was wäre, wenn der Fall, sprich: die Mehrheit, was als politisch korrekt gilt, andersherum läge? Wenn zum Beispiel ein Kommissarkandidat sagte, Atomkraft sei für ihn eine Sünde an künftigen Generationen – worauf ihn ein Ausschuss ablehnt; schließlich hält eine Mehrheit der EU-Staaten Atomkraft im Gegensatz zu den meisten Deutschen für verantwortbar. Welche Bandbreite an Weltanschauungen halten wir aus in Europa?

Manche sagen, Buttiglione hätte auf die Frage nach seinen privaten Ansichten schweigen sollen. Aber wäre das unsere Idealvorstellung, dass Führungspersonal so tut, als habe es keine Überzeugungen? Gemessen an dem üblichen Ruf, dass Europa Führung dringend nötig habe, ist doch eher Buttigliones Attitüde beunruhigend, zwischen privater Überzeugung und öffentlichem Handeln zu trennen – als seien das zwei Welten.

Europa braucht starke, durchsetzungsfähige Charaktere. Sollen sie doch anfechtbare Meinungen zu diesem und jenem haben – solange sie nur Europas Gesetze und schriftliche Normen verteidigen und fachlich für ihren Job geeignet sind. Die 25 EU-Staaten sind so vielfältig, da kann ein Eignungstest, der auf Kopf- und Haltungsnoten baut, leicht ins Abseits führen.

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