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Jugendstrafrecht: Die Gesellschaft darf Leben nicht aufgeben

Nach dem Fall in der Münchner S-Bahn will die Union das Jugendstrafrecht verschärfen: Der Ruf nach harten Strafen ist verständlich, kommt uns aber teuer zu stehen, meint Jost Müller-Neuhof. Ein Kommentar.

Kein Wahlkampf ohne dieses Thema, könnte man sagen und es als das übliche populistische Gedröhne abtun, wie es zuletzt im Vorfeld der Hessen-Wahl 2008 ertönte. Doch es wäre ein Fehler. Jenseits von Entsetzen vor den Tätern und Trauer um das Opfer ist der Fall der beiden jungen Männer, die jemanden totgeprügelt haben, weil er Kindern zur Hilfe eilte, noch aus anderen Gründen bemerkenswert.

Warum ist das Erschrecken jetzt so groß? Die Antwort darauf ist heikel. Dass man Gesicht zeigen muss, wenn Hilflose bedrängt oder beleidigt werden, dass man beherzt, aber besonnen eingreifen muss, hat sich zum öffentlichen Komment entwickelt, befeuert durch zahllose Initiativen und Politikerreden. Und nun gibt es tatsächlich einen Fall, wo jemand vermeintlich „alles richtig“ macht, wo einer souverän und überlegt handelt, nicht provoziert – und dann doch totgeschlagen wird. Wir können es nicht verstehen, und es gibt auch nichts zu verstehen. Nur: Wenn Erwartungen derart enttäuscht werden, könnte es auch an den Erwartungen liegen.

Wer sich in einen gewaltsamen Konflikt einmischt, muss wissen, dass ihm kein Lehrbuch, kein Politiker und kein gut gemeinter Slogan zu Seite steht. „Alles richtig“ machen und dann ist der Konflikt gelöst wie eine Rechenaufgabe – in der Gewaltkriminalität gibt es das nicht, schon gar nicht bei hochaggressiven jugendlichen Gewalttätern. Wer mit solchen Leuten eine Konfrontation eingeht, gefährdet sich immer auch selbst. Dies soll, um Gottes willen, kein Appell zum Wegsehen sein. Aber wenn die Hinseh-Appelle beginnen, Angstreflexe zu betäuben, kann das auch nicht im Sinne ihrer Erfinder sein. Es ist richtig, den jetzt Getöteten als einen Helden zu ehren; doch muss jemand, der einem solchen Konflikt aus dem Wege geht, deshalb noch kein Feigling sein.

Ein weiterer Aspekt betrifft die politische Debatte, die deshalb jedes Mal so erregt geführt wird, weil Kriminalität eines der letzten unbeherrschbaren Themen einer hochgradig beherrschten Gesellschaft ist. Im Grunde sind sich Experten und Politik einig, dass das Jugendstrafrecht gut ist, wie es ist. Weltfremd finden das viele und wollen endlich Härte sehen. Das Volk und seine Vertreter sind hier weit auseinander, und Bayerns Justizministerin Beate Merk will sie wieder zusammenschließen, wenn sie neuerdings davon spricht, dass Sühne durchaus etwas ist, was auch junge Leute leisten können.

Dann sühnt mal schön, würde man den beiden Schlägern zurufen, wenn sie dann lebenslang oder eben für 15 Jahre hinter Gitter müssten und man sie und ihre derangierte Persönlichkeit dort sich selbst überließe. Das Urteil wäre eine kurze satisfaktionsfähige Botschaft für die empörten Bürger, eine Schlagzeile, mehr nicht. Kein Wort über die Folgekosten, wenn die Gesellschaft ein Leben aufgibt, wenn die Kandidaten den Knast später noch kaputter verlassen, als sie hineingekommen sind. Die Sühne, die Frau Merk da fordert, entspricht einer menschlichen Regung – nur können wir sie uns schlicht nicht leisten.

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