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Kontrapunkt: Jürgen Zöllner - der Verschlimmbesserer

Malte Lehming schreibt im "Kontrapunkt", warum Jürgen Zöllner eine Katastrophe und seine jüngste Schulreform umweltschädigend, schülerfeindlich und unsozial ist. 

Das ganze Dilemma der Politik in unserer schönen deutschen Hauptstadt brachte vor wenigen Wochen ein konservativer Kollege auf den Punkt, nachdem sich Renate Künast entschieden hatte, für die Grünen ums Bürgermeisteramt zu kandidieren. „Dann werde ich jetzt wohl zum ersten Mal in meinem Leben Klaus Wowereit wählen“, sagte er. Die Verzweiflung stand ihm im Gesicht. Linkspartei – geht natürlich gar nicht. CDU oder FDP – ohne Worte, oder: Man schaue sich diese Gurkentruppen bloß nicht genauer an. Bleibt Berlins SPD als das größte aller noch größeren Übel. Wär’s nicht zum Heulen, könnte man lachen.

Doch halt! Einer ist da, der den konservativen Kollegen vorm Sündenfall zu retten vermag – Bildungssenator Jürgen Zöllner. Die Menge an Murks, die er ins Berliner Bildungssystem gepumpt hat, übertrifft jedes Maß des Erträglichen. Zöllner ist Berlins talentiertester Verschlimmbesserer. Das Fass zum Überlaufen gebracht hat dessen Neuregelung des Aufnahmeverfahrens für weiterführende Schulen. Diese Neuregelung ist umweltschädigender als ein altmodisches Kohlekraftwerk, extrem schülerfeindlich, und sie vertieft die soziale Spaltung in der Stadt. Dass dieser Skandal nicht zum Aufstand führt, zeigt, dass Frustration die Menschen nicht nur auf die Straße treiben kann, sondern auch ins Phlegma, in die politische Apathie.

Zunächst die Fakten: Rund 25.000 Sechstklässler können sich künftig ihre weiterführende Schule, ob Gymnasium oder Sekundarschule, selbst aussuchen. Von den profilorientierten Schulen (Musik, Sport, Kunst, Sprache) einmal abgesehen, entscheidet allein die Durchschnittsnote. Das Wohnortprinzip ist damit abgelöst. Übersteigt die Nachfrage das Angebot, werden 30 Prozent der Plätze ausgelost, zehn Prozent sind Härtefällen vorbehalten. Die Kriterien dafür, was ein Härtefall ist, kennt keiner genau. Anders als früher gelten Geschwister, die bereits auf die gewünschte Schule gehen, nicht mehr als Härtefall.

Nun bleibt die Zahl der Schulen in Berlin konstant, auch die Qualitätsunterschiede werden sich in absehbarer Zeit nicht nivellieren. Man braucht also kein Prophet zu sein, sondern nur die einfachste Form gedanklicher Logik zu beherrschen, um Folgendes vorauszusehen: Viele Eltern in Problembezirken werden versuchen, ihre Kinder in gute Schulen zu bringen, auch wenn sie dadurch täglich von Kreuzberg nach Dahlem, oder Lichtenberg nach Pankow, pendeln müssen. Die guten Schulen (oder die mit einem guten Ruf) werden schnell überfüllt sein und Kinder aus der Nachbarschaft, die keinen herausragenden Notendurchschnitt haben, nicht mehr aufnehmen können. Auch diese Kinder werden also täglich pendeln müssen. Hin und her, her und hin, morgens, mittags und nachmittags. Und von Jahr zu Jahr werden es mehr, weil sich das Prinzip ja fortsetzt. Bei Sturm und Wind und Schnee und Eis: Die große Schülerwanderung beginnt.

Einige Schüler werden öffentliche Verkehrsmittel benutzen, andere von den Eltern gebracht und abgeholt werden. Das Chaos in der Hauptverkehrszeit wird auf jeden Fall noch größer. Berlin soll Öko-Hauptstadt werden, tönt der rot-rote Senat. Pah! Allein die neue Schulregelung entlarvt solch vollmundige Versprechen als hohl und Hohn.

Schülerfeindlich ist sie ohnehin. Als die Zeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Schuljahre verkürzt wurde, beklagte man zu Recht, dass der Leistungsdruck zu sehr steigt und zu wenig Zeit zur Regeneration bleibt. Wenn nun zum anstrengenden Schul- und Hausarbeitentag stundenlanges Pendeln hinzukommt, verkürzt sich die „freie Zeit“ erneut. Ein zynisch klingender Trost: Da Freunde früher meist in der Nachbarschaft wohnten und auf dieselbe Schule gingen, aber man heute nicht mehr in der Nachbarschaft zur Schule geht, reduzieren sich künftig auch die privaten sozialen Beziehungen der Schüler drastisch.

Weniger freie Zeit, weniger Freunde, dafür tägliches Pendlertum: Kein Wunder, dass sich der Trend zur Privatschule verstärkt. Wer es sich leisten kann, will unter diesen Bedingungen nämlich „Leistung pur“ für seinen Nachwuchs - und keine Klassen mit dreißig Prozent Ausgelosten und zehn Prozent Härtefällen. Wenn schon, denn schon. So vertieft sich die soziale Spaltung in der Stadt.

Und so schafft ein sozialdemokratischer Bildungssenator quasi im Alleingang, dass sich Wowereit bei der kommenden Wahl nicht ganz so sicher sein darf. Ohne Zöllner flögen Wowereit die bürgerlichen Stimmen scharenweise zu, mit Zöllner muss er bangen. Jedenfalls dann, wenn die Bürger ihr Phlegma überwinden.

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