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Die Klägerin am Mittwoch im Bundesarbeitsgericht.

© dpa

Justiz und Religion: Das Kopftuch ist ein Symbol für nichts

Politiker und Gerichte streiten, aber für die Bürger wird der Stoff langsam normal. Es wird Zeit, dass Staat und Kirchen ihre Verkrampfungen lösen und kein Drama mehr daraus machen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Sie wollte doch nur ihre Reize bedecken, sagt die Krankenschwester über ihr Kopftuch vor dem Erfurter Bundesarbeitsgericht. Ihre Einlassung müsste sich in eine Zeit und Stimmung fügen, in der die Scham ein kleines Comeback feiert, das Kabinett ein Strafgesetz gegen bloßstellende Filmaufnahmen beschließt, das Verbot sexistischer Werbung näher rückt. Doch juristisch erwartbar haben die Richter entschieden, dass ein kirchlicher Arbeitgeber hier Zurückhaltung verlangen kann.

Es ist ein Streit mit mehreren politischen Seiten, deren Diskussion ideologisch stark überformt ist. Zum einen geht es um das kirchliche Arbeitsrecht. Es erscheint vielen als Anachronismus in einem religiös neutralisierten Staat, als weiterer säkularer Hilfsdienst an der Geistlichkeit, der zunehmend fragwürdig wird mit den Steuermillionen, mit denen kirchliche Arbeitgeber gepäppelt werden und die sie zu einem Beschäftigungsgiganten haben wachsen lassen. Tatsache aber ist, dass die Bundesrepublik mit diesen Strukturen erkennbar gut gefahren ist; zum Wohle aller, nicht nur der Kirchen.

Aus "Anpassung" wurde "Integration"

Die zweite Seite betrifft das Kopftuch als Chiffre für – ja, für was eigentlich? Als den Deutschen nach dem 11. September 2001 ins Bewusstsein drang, mit ihren ausländischen Arbeitskräften fremde Religionen importiert zu haben, zeigten sich alsbald Reflexe. Semantisch änderte sich zwar einiges, aus „Anpassung“ etwa wurde „Integration“, doch fortan stand der Glaube an sich im Ruch der Gefährlichkeit. Festgeschrieben wurde dieses Merkmal im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuch für Lehrerinnen, das die Verantwortung für die angebliche muslimische Einflusszone an die zuständigen Gesetzgeber verschob; seitdem ist es Ländersache, ob und wie muslimische Frauen im Staatsdienst tätig werden dürfen.

Das Kopftuch ist keine Gefahr

Wer einen Anachronismus beiseite schaffen will, könnte hier fündig werden. Er zeigt sich offensichtlich nicht zuletzt anhand des neuen Terrors im Namen des Islam, der Syrien und Irak überzieht. Die düstere Symbolik der selbst ernannten Dschihadisten hat so wenig mit dem Bekenntnis der Gläubigen zu tun, dass jetzt auch deutsche Muslime ihre Scheu oder Trägheit überwinden und den Horror als das verurteilen, was er ist.

Welche Bedeutung hat da noch ein Kopftuch? Keine. Wofür steht es? Für nichts. Es hat nichts zu tun mit den radikalisierten Verlierertypen, die ihr gekränktes Ego in postmortale Größe überführen wollen; nichts mit der katastrophalen Situation der arabischen Welt. Es ist etwas, das Frauen auf ihren Köpfen tragen. Bürgerinnen unseres Landes. Es ist keine Gefahr, und wenn es ein Einfluss ist, dann einer, mit dem mündige Bürger samt ihren Kindern umzugehen wissen.

Dies zur Kenntnis zu nehmen, wäre eine Aufgabe des Staates wie auch der Kirche. Es könnte bei beiden Verkrampfungen lösen. Der Staat kann das kirchliche Arbeitsrecht garantieren, doch es ist eine andere Frage, was die Kirche aus aus ihrer Selbstbestimmung zukünftig machen will. Am besten macht sie daraus vor allem kein Drama, wenn eine Krankenschwester mit Kopfbedeckung zum Dienst antreten will. Den Patienten ist es ohnehin egal. Die Dramen spielen sich woanders ab.

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