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Die Radikalen werden uns weiter gegenübertreten, in Springerstiefeln und Internetblogs, aber auch in Talkshows oder Sachbuchregalen

© dpa

Kampf gegen Rechts: Die Abspaltung des Bösen

Radikalität ist nicht bloß Randerscheinung, sondern Teil der Mitte, aus der sie erwächst. Deswegen darf das Engagement gegen rechts nicht als Exorzismus gehandhabt werden, der Besessenen einen Dämon auszutreiben soll.

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist alle Anstrengung und den Schweiß der Besten wert, dennoch muss man fragen, wohin er eigentlich führen soll. Allwöchentlich lassen neue Prozentzahlen aus Gesinnungsstudien uns Unverdächtige erschauern, während die braune Gefahr endgültig nach der bürgerlichen Mitte zu greifen scheint; wo das kollektiv schlechte Gewissen darob ein Plätzchen lässt, füllen die Politiker es mit kaum mehr steigerbaren Formeln: Nun sollen wir uns dafür einsetzen, „dass jede Art von Radikalisierung bekämpft und ausgeschlossen wird“, hat der Innenminister erbeten.

Die wünschenswerte Frontstellung gegen Fremden-, Religions-, Judenhass und Rassismus wird jedoch langfristig nur Erfolg verbuchen, wenn der Feind überhaupt überwunden werden kann. Daran gibt es strukturelle Zweifel, die weder etwas mit ostdeutschen Sozialnöten noch westdeutschen Antisemitismustraditionen zu tun haben. Es fragt sich, wo sie eigentlich beginnt, die Radikalität.

Das Nötige dazu hat am Dienstag das Bundesverfassungsgericht gesagt. Rechtsradikal ist keine Tatsachenfeststellung, sondern ein Werturteil, ist kein Zustand, sondern eine – von der Meinungsfreiheit geschützte – Zuschreibung. Bei allem Respekt vor empirischer Sozialforschung, es bleibt im Grunde statistisch nicht erhebbar, wie radikal die Deutschen wirklich denken. Jeder muss sich sein Bild davon machen. So kann auch die Enttarnung eines fanatischen Geheimbundes, der sinnlose Mordtaten zum politischen Ziel erhoben hat, ein Symptom für schlimmste Tendenzen sein, muss es aber nicht. Vielleicht handelt es sich auch „nur“ um Gewaltkriminalität, wobei, so zynisch es klingt, diese Feststellung die bessere wäre.

Es wäre unglücklich, würde das Engagement gegen rechts weiter als Exorzismus gehandhabt, der darauf hinauslaufen soll, Besessenen einen Dämon auszutreiben. Radikalität ist seit jeher nicht bloß Randerscheinung, sondern Teil der Mitte, aus der sie erwächst und die ihn tragen kann. Anders wäre kaum zu erklären, mit welcher Inbrunst die Deutschen Thesen von Kopftuchmädchen und Erbintelligenz wegschmökern oder pauschale Ausländer- und Islampolemik als politische Wahrheit goutieren, die endlich gesagt werden muss. Dass solche Ansichten schließlich ungelesen im Bücherschrank landen, statt auf dem politischen Markt offensiv verhandelt zu werden, zeigt, Demokratie und Toleranz haben es in Deutschland weiter gebracht, als Umfragen es vermuten lassen.

Wenn nun der Prozess gegen Beate Zschäpe beginnt und ein neues NPD-Verbot zu diskutieren ist, muss klar sein, dass beides, unabhängig vom Ausgang, keine Abspaltung des Bösen bewirken wird. Die Radikalen werden uns weiter gegenübertreten, in Springerstiefeln und Internetblogs, aber auch in Talkshows oder Sachbuchregalen; nicht zuletzt in Umfragen, die mahnen und mobilisieren sollen. Beim Kampf gegen rechts geht es aber in Wahrheit darum, nicht die eigene Mitte zu verlieren. Es ist nicht nur ein politischer Kampf, es ist auch ein sehr persönlicher.

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