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Ägypten: Keine Stunde null

In Ägypten fordern die Demonstranten, dass das Militär die Macht abgibt. Nur – an wen?

Es ist wie ein Pingpong-Spiel. Die Straße gegen die Militärs, die Militärs gegen die Straße. Im Augenblick liegt der Ball in den Händen der Straße. Werden die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz und in anderen Städten Ägyptens zulassen, dass am Montag die Parlamentswahlen beginnen?

Die Chancen sind wieder gestiegen, seit das Militär sich bei der ägyptischen Bevölkerung für die Toten und Verletzten beim Umgang mit Demonstranten entschuldigt hat. In einem emotionalen Statement hat ein Generalmajor am Mittwochabend im Fernsehen nachgeholt, was der Chef des Militärrates, Feldmarschall Tantawi, in seiner Ansprache am Dienstag vergessen hatte. Außerdem sind Entschädigungen und Hilfe für die betroffenen Familien geplant. Dies könnte einen großen Teil der empörten Massen beruhigen. Dem Kern der jungen Demokratieaktivisten reicht das nicht. Sie wollen die Festlegung auf eine Vormachtstellung des Militärs im neuen politischen System verhindern. Allerdings soll der Militärrat angeblich auch in einem anderen entscheidenden Punkt zurückgewichen sein: Er will angeblich nicht mehr 80 der 100 Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung selbst ernennen. Die Lage hat sich beruhigt, und wenn „nur“ Tausende Aktivisten friedlich auf dem Tahrir-Platz ausharren, könnten die Wahlen durchaus stattfinden.

Das Militär hat einen fundamentalen Fehler begangen. Vor zwei Wochen legte es sich auf über der Verfassung stehende Prinzipien und Neuregelungen für die verfassunggebende Versammlung fest und brachte damit liberale und islamistische Kräfte gleichermaßen gegen sich auf. In den Diskussionen lenkte es nicht ein. Die Demonstranten wiederum sind naiv, wenn sie nun die sofortige Machtübergabe des Militärs fordern. An wen denn?

Recht haben die Militärs nun, die Wahlen nicht zu verschieben. Sonst würden alle politischen Konflikte weiterhin nur auf der Straße ausgetragen, womöglich mit noch mehr Toten. Ein gewähltes Parlament und eine Regierung werden als Gegenspieler der Militärs gebraucht. Dringend. Die Demokratiebewegung sollte nicht unterschätzen, welchen Druck diese demokratisch legitimierten Institutionen auf den allmächtigen Militärrat ausüben könnten. Oft sind es eher Unprofessionalität und mangelndes Verständnis für Politik auf Seiten des Militärrats, die immer wieder zu der Konfrontation mit der Bevölkerung führen. Ebenso regelmäßig haben die Militärs dann aber auch eingelenkt und nachgegeben. Ganz aufgeben werden sie ihre Vorrangstellung und ihre wirtschaftlichen Privilegien aus eigenem Antrieb sicher nicht. Das müssen die demokratischen Institutionen weiter erkämpfen. Eine Stunde null gibt es nicht.

Das ist bitter. Ebenso bitter für die Demokratieaktivisten und ihre politischen Idealvorstellungen wird das Ergebnis der Parlamentswahl sein: Ihre Vertreter werden wohl nur eine Minderheit im Parlament stellen. Auf der Straße war ihr Einfluss überproportional groß. Diese Macht haben sie nun noch einmal gut genutzt.

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