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Sarkozy und Hollande: Bleibt die Frage, welcher der beiden morgen Abend in Frankreichs Bett schlüpfen darf.

© Reuters

Kolumne Mon Berlin: Wer darf in Frankreichs Bett schlüpfen?

Für die französischen Staatspräsidenten ist Frankreich eine Femme fatale, die sie verführen müssen. Die Deutschen würden sich darüber kaputtlachen.

Danke für Ihre große Liebe zu Frankreich!“, rief Nicolas Sarkozy am Abend des ersten Wahlgangs seinen Helfern und Sympathisanten zu. Der Präsident stand sehr aufrecht da, majestätisch, die Arme ausgestreckt wie Christus, der die kleinen Kinder zu sich einlädt. Seither geht mir dieser Satz im Kopf herum. Danke für Ihre Unterstützung, für die Arbeit, die Sie an meiner Seite geleistet haben: Worte von einer betrüblichen Nüchternheit, das wohl, aber Worte, die die Realität meiner Ansicht nach besser beschrieben hätten als diese libidinöse Suppe.

Am Vorabend des zweiten Wahlgangs frage ich mich immer noch, was genau das heißen soll: Frankreich lieben? Man kann Mousse au chocolat lieben, die Frau seiner Träume oder einfach das Leben, aber Frankreich? Eine ungeheure Zärtlichkeit überschwemmt mich, wenn ich an die sanften Landschaften der Drôme am Herbstanfang denke. Ich fühle wahre Verbundenheit, wenn ich die alten Schwarzweißfilme mit Gabin und Arletty sehe oder die Schlager der 80er vor mich hin singe. Ich schmelze vor Wonne für die Tarte Tatin, die Loire-Weine, das Licht der Provence und ganz besonders für Jean Dujardin („The Artist“)! Viele solche Madeleines erinnern mich an meine Kindheit und berühren sehr tiefe Wurzeln. Aber Liebe?

Bestimmt liegt das an den vielen Jahren im Ausland: Das Pathos der französischen Politiker überrascht mich immer wieder. Und ich kann kaum verstehen, warum die Franzosen bis heute daran kleben. Ist der intensive Umgang mit diesem Deutschland, wo jeder nationale Erguss sofort Verdacht weckt, schuld an meiner patriotischen Frigidität? Stellen Sie sich doch mal die Reaktion hierzulande vor, wenn Angela Merkel auf die seltsame Idee käme, ihren Landsleuten für ihre große Liebe zu Deutschland zu danken. Schlimmstenfalls würden die Deutschen sich Hals über Kopf in eine endlose, höchst intellektuelle und moralisierende Debatte stürzen. Bestenfalls würden sie sich kaputtlachen.

 Pascale Hugues schreibt für das französische Magazin "Le Point".
Pascale Hugues schreibt für das französische Magazin "Le Point".

© Tsp

Soweit ich zurückdenken kann, hatten die Reden der französischen Staatspräsidenten immer etwas von einer Liebeserklärung. In ihren Augen verkörpert Frankreich die Femme fatale. Unwiderstehlich. Von Pétain bis zu de Gaulle, von Mitterrand bis zu Chirac, durch alle Zeiten und politischen Richtungen hindurch gehört die Liebe zu Frankreich ins rhetorische Arsenal des Präsidenten der Republik.

Die Wahlen sind die Begegnung zwischen einem Mann und Frankreich

„Die Liebe zum Vaterland ist die erste Liebe / Und die letzte Liebe nach der Liebe zu Gott / Sie ist ein Feuer, das mit dem Tageslicht strahlt / Wo unser Blick wie ein himmlisches Feuer leuchtet.“

So schreibt Verlaine in einem Gedicht. Es stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber wenn Sarkozy Gott weglassen würde, um der laizistischen Tradition der heutigen Republik gerecht zu werden, könnte er es Wort für Wort deklamieren.

Am 14. Juli oder am Abend einer gewonnen Wahl senkt der Präsident die Stimme um zwei Oktaven. Er verlangsamt seinen Redefluss, er holt tief Luft, er streckt die Brust heraus, er legt los. Und wenn Sarkozy derzeit Hollande beschuldigt, Frankreich nicht zu „lieben“, dann klingt das bei ihm wie Hochverrat. Das Problem dabei: Nicolas Sarkozy ist nicht der Einzige, der Frankreich liebt. Das Land verdreht auch vielen anderen den Kopf. Nehmen Sie nur die extreme Rechte von Marine Le Pen. Frankreich lieben ist ihr Fachgebiet. Bei ihren Wahlveranstaltungen wird ein Lied gespielt, in dem das Frankreich der kleinen Cafés, der hohen Kirchtürme, das Land Voltaires und der Aufklärung, das Land Jean Lafontaines, Molières, Ferrats besungen wird.

Frankreich, Objekt aller Begierden. „Frankreich“, sagte in meiner Klasse im Lycée ein dänischer Austauschschüler, den der Lehrer nach den Bildern in seiner nordischen Vorstellungswelt fragte, „ist das Land der hübschen Mädchen und des Käses.“ Der Lehrer brach in schallendes Gelächter aus, und ich war mir nicht sicher, ob die Verbindung von Juliette Binoche und Camembert ein Kompliment oder eine Beleidigung war. Nach einer aktuellen Studie verbinden die Deutschen mit Frankreich spontan Atomkraft und Luxus. Noch so eine merkwürdige Assoziation. Ein Hauch Chanel No. 5, flüchtig wie eine radioaktive Wolke. Weit weg von den kleinen Cafés und den hohen Kirchtürmen. Weit weg von der unantastbaren ersten Liebe.

Die Wahlen morgen, so sagen es die Fernsehkommentatoren ohne zu lächeln, sind die Begegnung zwischen einem Mann und Frankreich. Feuer und Flamme. Bleibt die Frage, welcher der beiden Prätendenten morgen Abend in Frankreichs Bett schlüpfen darf.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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