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Kolumne "Was Wissen schafft": Schlafloses Wochenende

Wer nicht schlafen kann, sollte es nicht auf den Vollmond schieben. Denn Menschen haben keinen lunar gesteuerten Biorhythmus.

Am Samstag ist es so weit: Vollmond! Romantiker bekommen leuchtende Augen, Menschen mit störanfälligem Schlaf fürchten eher, dass sie mal wieder kein Auge zudrücken können. Wer an diesem Wochenende zu wenig Schlaf bekommt, sollte das aber lieber nicht auf den bleichen Ball am Himmel schieben, sondern auf das andere Runde, das dann in den letzten beiden WM-Spielen noch einige Mal zu später Stunde ins Eckige muss. Forscher vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München haben nämlich gerade Entwarnung gegeben: Sie konnten keinerlei Zusammenhang zwischen dem menschlichen Schlaf und der jeweiligen Phase des Mondes finden.

Die neue Studie hat Gewicht, weil sie sich auf eine beeindruckende Zahl von Schläfern stützen kann. Die Wissenschaftler um den Psychiater und Neurowissenschaftler Martin Dresler nutzten rückblickend Daten von über 2000 Voll-, Neu- oder Halbmond-Nächten, in denen 1265 Probanden im Dienste der Wissenschaft geschlafen (oder wach gelegen) und über die Qualität ihres Schlummers Buch geführt hatten. Zusätzlich waren sie im Schlaflabor an allerlei Apparaturen angeschlossen. Unter anderem wurden ihre Hirnströme gemessen, um die Dauer von Tief- und Traumschlafphasen zu ermitteln. Zumindest im gut verdunkelten Schlaflabor fanden die Forscher keinen Einfluss der jeweiligen Mondphase auf Dauer und Qualität des Nachtschlafs.

In einem Schlafzimmer ohne Jalousien, Vorhänge oder Fensterläden könnte das natürlich anders aussehen, falls nicht helle Straßenbeleuchtung das Bild verfälscht. Denn der zirkadiane, ungefähr einen Tag umfassende Rhythmus, die „innere Uhr“ des Menschen, wird durch den Zeitgeber Licht beeinflusst.

Auf einen lunar gesteuerten Biorhythmus sind wir indes nicht für unser Überleben angewiesen – im Unterschied zum Meeresringelwurm und anderen Bewohnern der Ozeane, die das Mondlicht brauchen, um ihre außerhalb des Körpers stattfindende Fortpflanzung zu organisieren.

Die Studie dürfte all denjenigen gefallen, die dem derzeitigen Hype und alten Mythen um die Mondphasen skeptisch gegenüberstehen und die zum Beispiel kein Problem damit haben, sich die Haare bei Vollmond schneiden zu lassen. Trotzdem reiben Sie sich jetzt vielleicht verwundert die Augen: Schließlich ist in den vergangenen Jahren immer wieder über wissenschaftliche Untersuchungen berichtet worden, die durchaus einen Einfluss des Mondes auf Menge und Qualität des Schlafs gefunden hatten.

Erst vor knapp einem Jahr hatte der Chronobiologe Christian Cajochen von der Universität Basel in der Zeitschrift „Current Biology“ über den Einfluss des Erdtrabanten auf den Schlaf seiner Probanden berichtet. In Vollmondnächten fand er in ihren Hirnströmen fast ein Drittel weniger von den Deltawellen, die im Tiefschlaf vorherrschen. Und selbst im völlig abgedunkelten Schlaflabor schliefen sie im Schnitt zwanzig Minuten weniger, und noch dazu subjektiv schlechter. In ihrem Blut kursierte auch weniger von dem „Schlafhormon“ Melatonin.

Allerdings waren es nur 33 Testschläfer, deren Nächte die Schweizer Forscher untersuchten. Ähnlich kleine Teilnehmerzahlen hatten auch die anderen Studien, die zum Thema bisher veröffentlicht wurden. Statt des Mondes könnte also der Zufall seine Hand im Spiel gehabt haben, meint Dresler.

Dafür spricht, was er und seine Kollegen bei ihren weiteren Recherchen fanden: nämlich Datensammlungen verschiedener Arbeitsgruppen über insgesamt 20000 Schlaflabor-Nächte, die jeweils keinen statistischen Zusammenhang zwischen Mondphase und Nachtruhe ergaben. Nur waren sie allesamt in der Schublade verschwunden.

Diese systematische Verzerrung ist in der Forschung als Publikations-Bias bekannt. Wer seine These belegen will, lässt mitunter „unbequeme“ Daten außen vor oder entwickelt einen Tunnelblick. Für „negative“ Ergebnisse interessieren sich auch die Fachjournale nicht besonders. Und so schlummern in dunklen Archiven vor allem solche Daten unpubliziert vor sich hin, die einen Zusammenhang widerlegen.

Auch wenn sich beim Vollmond das vermutete oder erwünschte Ergebnis nun nicht eingestellt hat: Der negative Ausgang gehört zum Gesamtbild. Das ist in der Wissenschaft nicht anders als im Fußball.

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