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Der Richter sieht keine Fluchtgefahr im Fall Torben P. Aber wie unwahrscheinlich ist es, dass Torben P. wieder Alkohol trinkt und in eine aggressive Stimmung gerät?

© dapd

Kontrapunkt: Abscheuliche Tat in einer widerwärtigen Gesellschaft

Torben P. nach dessen Prügelattacke bis zum Prozess frei zu lassen, ist für Lorenz Maroldt nicht nur menschlich schwer vermittelbar, es ist auch juristisch nicht zwingend, schreibt er im aktuellen Kontrapunkt.

"Die Untersuchungshaft, über die das Amtsgericht Tiergarten entschieden hat, dient der Sicherung des Strafverfahrens. Sie ist keine Strafe, Warnung oder Disziplinierungsmaßnahme. Die Entscheidung über die Strafbarkeit ist im Strafprozess zu treffen."

Aus einer Pressemitteilung der Berliner Kammergerichtspräsidentin zur Freilassung von Torben P., der am vergangenen Samstag auf einem U-Bahnhof einen Mann mit einer Flasche erst niedergeschlagen und dann seinem mit dem Gesicht auf dem Boden liegenden Opfer viermal mit voller Wucht auf den Hinterkopf getreten hat, bevor ihn ein Zeuge stoppen konnte.

Der Haftrichter hielt den Fall offenbar für aufgeklärt, die Staatsanwalt, die keine Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt hat, anscheinend auch. Der Täter ist bisher nicht aufgefallen und lebt in einem, wie es heißt, intakten sozialen Umfeld. Für den Richter war keine Fluchtgefahr erkennbar und auch keine Wiederholungsgefahr. Wieso eigentlich nicht?

Ja, es ist schwer vorstellbar, dass Torben P. jetzt gleich den nächsten Menschen umhaut und so lange tritt, bis auch dieser in höchster Lebensgefahr schwebt. Genau so unvorstellbar, wie es war, dass Torben P. überhaupt irgend jemanden so umhaut und tritt, wie er es tat. Die Begründung, die er seinem Geständnis hinzufügte, ist brutal banal. In aggressiver Stimmung sei er gewesen, und Alkohol habe er getrunken. Wie unwahrscheinlich ist es, dass Torben P. wieder Alkohol trinkt und in eine aggressive Stimmung gerät? Was ist auf dem U-Bahnhof mit ihm passiert, was ihm nicht wieder passieren kann? Was, wenn er genau das wollte: jemanden schwer verletzen.

Der Fall Torben P. ist weit davon entfernt, aufgeklärt zu sein. Wenn die Staatsanwaltschaft der Öffentlichkeit nichts vorenthält, dann weiß sie nicht wirklich etwas darüber, wie es zu der Tat kommen konnte. Und dann kann sie auch nicht wissen, ob es eine Wiederholungsgefahr gibt. Und dann kann es auch nicht der Haftrichter wissen. Die Entscheidung, Torben P. bis zum Prozess freizulassen, ist nicht nur menschlich schwer vermittelbar, sie ist auch juristisch nicht zwingend; zusammengenommen ist sie: falsch.

Ob Torben P. von seiner vorübergehenden Freiheit etwas hat, ist eine andere Frage – aber eine schnell zu beantwortende. Das Geringste ist noch die Meldepflicht, drei Mal die Woche zur Polizei. Aber allein schon beim Weg dorthin und zurück wird es ein Spalier der geifernden Rachegesellschaft geben. Und am Montag wieder in die Schule, wo es kein anderes Thema mehr gibt als ihn selbst? Auch das - kaum vorstellbar. Jeder dort kennt inzwischen die Bilder seiner schrecklichen Tat. Auf der Website einer Berliner Zeitung werden sie feilgeboten mit dem obligatorischen Facebook-Button "Gefällt mir", dazu der Hinweis: "Zeige deinen Freunden, dass dir das gefällt". In einer der Geschichten dazu heißt es, er könne "bereits seit Sonntag seine Ferien genießen".

Und das Opfer? Markus P. ist mit dem Leben davon gekommen, aber womöglich für sein Leben gezeichnet. Er hat einen Brief an die Justizsenatorin geschrieben, in Anwesenheit von Boulevardzeitungsreportern, die ihn dabei fotografierten. Der Brief klingt so, als hätten sie ihm auch den Stift geführt. "In ihrer Antwort an mich können Sie bitte auf das typische Politikergerede verzichten", heißt es am Ende. Der Fall Torben P.: Eine abscheuliche Tat in einer widerwärtigen Gesellschaft.

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