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Bundeskanzlerin Merkel bei einer Rede anlässlich ihrer Auszeichnung mit der Freiheitsmedaille in Washington.

© dpa

Kontrapunkt: Angelas Pathos, Merkels kalte Schulter

Die Bundeskanzlerin freut sich in Washington zu Recht über die Freiheitsmedaille, stellt ihren Koalitionspartner in Berlin kühl ins Abseits und verschwendet kein Wort an die Seelenleiden ihrer Partei.

Zu Hause ist ihr Ruf nahezu ruiniert, wenn es um die Frage geht, welche Überzeugungen diese Bundeskanzlerin treiben. In der Zeit nach 2005, als sie wider Erwarten eine große Koalition anführen musste, war es ein beliebtes öffentliches Spiel, welche Merkel die "eigentliche" sei: Die CDU-Vorsitzende, die ihre Partei zur Zeit der rot-grünen Götterdämmerung 2003 auf den forcierten neoliberalen Reformkurs des Leipziger Parteitags eingeschworen hatte? Oder die andere, die angesichts des enttäuschenden Wahlergebnisses von 2005 augenblicklich verstanden hatte, dass man damit in Deutschland zwar den medialen Mainstream, aber keine Wählermehrheit überzeugen kann?

Nie gab ihre Amtsführung eine schlüssige Antwort auf das Rätsel. Auch nicht nach der Wahl von 2009, als die schwarz-gelbe Mehrheit schließlich doch erreicht wurde. Mit einer Arbeitsteilung im Wahlkampf, die der FDP allen Reformeifer überließ (inklusive der Verkürzung auf das unrealistische Steuerversprechen und eines furiosen 14,6 Prozent-Ergebnisses), während die C-Parteien überall dort anzutreffen waren, wo die SPD gerade hin wollte und ein mäßiges Wahlergebnis erzielten. Nach der Wahl und den ersten Missgeschicken der bürgerlichen Koalition verständigte sich die öffentliche Meinung, immer noch auf der Suche nach der "wahren Merkel", schnell darauf, dass Angela Merkel der Koalition mit der bewährt zuverlässigen SPD nachtrauere, seit sie mit den unberechenbaren Freidemokraten am Kabinettstisch sitzt.

Im Frühjahr 2011, nachdem die Bundeskanzlerin mit der Energiewende - und damit auf einem der wenigen Felder, die Schwarz-Gelb scharf von Rot-Grün unterschieden hatten - die bisher schärfste Kehrtwende ihrer Laufbahn vollzogen hat, ist die Suche nach ihren politischen Grundüberzeugungen gewissermaßen eingestellt worden. Ob für oder gegen den Atomausstieg, Freund oder Feind teilen die Auffassung, dass Merkels Ausstieg von Laufzeitverlängerung und Atomkraft vor allem taktisch motiviert sein dürfte: Angesichts des absehbaren Verglühens der Supernova FDP öffne der Ausstieg neue Koalitionsoptionen, nämlich die mit den Grünen.

Diese Sichtweise hat die Bundeskanzlerin in den ersten Tagen dieser Woche einmal mehr untermauert. Das war wirklich eine eiskalte Schulter für den leidenden Koalitionspartner, wie mit den Bundesländern abgeräumt wurde, was die FDP in nächtlichen Sitzungen mühsam in den Ausstiegsplan der Bundesregierung hinein verhandelt hatte. Merkel braucht den großen Konsens mit SPD und Grünen, nicht die FDP. Denn nur ein historischer Kompromiss aller relevanten politischen Kräfte kann den ersten, den rot-grünen Ausstieg übertrumpfen - die FDP scheint der Kanzlerin dafür nicht mehr relevant genug.

Zeitgleich aber war aus der Ferne die andere Angela Merkel zu vernehmen. Und nicht zum ersten Mal. In den USA bietet sie ihren Zuhörern, was sie ihrem armen Staatsvolk stets verweigert: Reden, die mit dem Pathos politischer Leiden und Leidenschaft aufgeladen sind. 2009 wurde sie vom US-Kongress für ihren Traum von der Freiheit umjubelt. Zu Recht. "Niemals werden wir den ersten Blick auf den Pazifischen Ozean vergessen", hat sie den Eindruck der ersten US-Reise beschrieben, die sie 1990 mit ihren Mann gemacht hat. Dass sie jemals im Rosengarten des Weißen Hauses stehen und die Freiheitsmedaille erhalten würde, sei damals, als sie in der DDR einen Amerika-Besuch nach der Rente geplant habe, außerhalb ihres Vorstellungsvermögens gewesen.

Das glaubt man ihr - doch umso weniger lässt sich erklären, warum sie nur in der Ferne vermag, was sie in der Nähe geradezu verweigert. Es war aus den Reihen der Christdemokraten am allerwenigsten die Bundeskanzlerin, die Wert darauf gelegt hat, die Energiewende überzeugend zu erklären, mögliche Irrtümer öffentlich zu reflektieren oder die Anstrengungen der vielen, vielen Menschen in Deutschland zu würdigen, die für den Ausstieg schon eingetreten sind, als man dafür noch zum weltfremden Spinner erklärt wurde. Nicht einmal ihre Parteifreunde würdigt sie mit Argumenten, die doch darunter ächzen, ein halbes Jahr nach der Laufzeitverlängerung eine Wende um 180 Grad vertreten zu müssen.

Die Kluft ist beträchtlich zwischen der Angela Merkel der fernen Freiheitsreden und der Bundeskanzlerin, die Realpolitik in der Demokratie verantwortet. Ist ein Traum in Erfüllung gegangen - und der alltägliche Rest "alternativlos", wie sie so gern sagt?

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