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Eins links, zwei rechts, oder umgekehrt? Ein Mal zählen ist nicht genug.

© dpa

Kontrapunkt: Berliner Rechenschwäche: Nachzählen reicht nicht!

Die Auszählungspannen nach der Berlin-Wahl haben ein beeindruckendes Ausmaß erreicht, stellt Lorenz Maroldt fest. Die Wahlleiter reparieren die Ergebnisse oder lassen es bleiben. Das muss sich ändern - und noch einiges mehr.

Vor ein paar Jahren gab es in Amerika Stimmen, die wegen der ständigen Attacken auf Ausländer in Deutschland den Einsatz von internationalen Friedenstruppen forderten. Das war zwar nicht ganz ernst gemeint, hatte aber einen ernsten Hintergrund. Heute, fast zwei Wochen nach der Wahl in Berlin, ist es an der Zeit, internationale Wahlbeobachter anzufordern.

Wie von allen demokratischen Geistern verlassen, reparieren die Bezirkswahlleiter nach eigenem Gusto die Ergebnisse oder lassen es bleiben. Und nahezu täglich werden neue Pannen bekannt, rutschen angeblich gewählte Kandidaten wieder raus aus dem Parlament und dann wieder rein, schwankt die Zahl der Sitze im Parlament rauf und runter. Ja, ist denn das wirklich so schwer, die Zettel durchzuzählen? Was machen die denn da!

In Lichtenberg sind in fast jedem der vierzig Stimmbezirke Fehler gefunden worden. In fast jedem! Und das, obwohl die Ergebnisse oft sehr knapp waren und sich schon daraus eigentlich zwingend ergibt, ein zweites, drittes, viertes Mal nachzuzählen - und zwar sofort, nicht erst jetzt. Auch anderswo, in Charlottenburg und Wilmersdorf, in Zehlendorf und Steglitz, in Marzahn und Hellersdorf wurde erst jetzt noch mal nachgezählt.

Seltsam ist auch, wie die ganze Angelegenheit geregelt ist, nämlich: viel zu lässig. Ob ein Ergebnis anerkannt wird, entscheidet der jeweilige Bezirkswahlausschuss, aber der ist nach dem Parteienproporz zusammengesetzt. Das muss nicht bedeuten, dass da gepfuscht wird. Das kann aber bedeuten, dass da jemand andere, nämlich eigene Interessen verfolgt. Da legt sich Misstrauen über das Verfahren, dies um so mehr, wenn die Nachzählung, wie in Lichtenberg geschehen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet – und damit auch ohne Gewähr.

Pannen wie die jetzt bekannt gewordenen – wie viele blieben unentdeckt? – können nicht nur das Ergebnis noch spät verändern, sondern tragen weiter zum ohnehin weit verbreiteten Wahlverdruss bei. Mehr als vierzig Prozent der Berliner mit Stimmrecht waren schon gar nicht zur Wahl gegangen; und die anderen können leider nicht sicher sein, dass ihre Stimme auch richtig gedeutet wurde.

So geht das nicht. Und es fängt schon damit an, dass die fleißigen Wahlhelfer, die einen schönen, freien Sonntag opfern, mit einem Almosen abgespeist werden, gemessen an der Bedeutung ihrer Arbeit, gemessen auch an der Verantwortung, die sie tragen.

Wenn sich Sozialdemokraten und Grüne auf eine Koalition verständigen sollten, haben sie nach jetzigem Stand der Dinge gerade mal eine Stimme über der erforderlichen absoluten Mehrheit. Die Parteien wissen nicht einmal, ob sie sich aufeinander verlassen können. Es ist eine zusätzliche Zumutung für sie, aber auch für alle Bürger dieser Stadt, dass sie sich nicht einmal auf ihre eigene Zahl an Sitzen verlassen können, nicht etwa wegen irgendwelcher hinterbänklerischer Heckenschützen, sondern wegen – im besten Fall – schlampiger Auszählung und deren Kontrolle.

Dreierlei ist deshalb zwingend: Es darf nicht länger im alleinigen Ermessen des Bezirkswahlleiters liegen, ob nachgezählt wird oder nicht. Die Bezirkswahlausschüsse müssen öffentlich tagen. Und die Wahlhelfer müssen vernünftig honoriert werden.

Vielleicht müssen wir uns auch daran gewöhnen, dass es nicht schon um kurz nach 18 Uhr abschließende Ergebnisse gibt. Wer immer schneller machen muss, macht auch immer schneller Fehler. Hoffentlich so zum letzten Mal.

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