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Kontrapunkt: Verkehrspolitik im Normalzustand

Die S-Bahn hat den Notfallplan zum Normalzustand erklärt, und so kürzt sie jetzt auch die Entschädigungsleistung für die Fahrgäste Richtung Normalzustand ein. Lorenz Maroldt fragt, was eigentlich der Senat macht.

Seit inzwischen 19 Monaten bietet die S-Bahn in Berlin nur einen eingeschränkten Betrieb an. Die Fahrgäste leiden nahezu täglich an gravierenden Ausfällen, Verspätungen und verkürzten Zügen, erst stehen sie sich die eigenen Beine in den Bauch, dann bekommen sie auch noch die Ellebogen anderer dorthin. Die S-Bahn hat den Notfallplan zum Normalzustand erklärt, und so kürzt sie jetzt eben auch die Entschädigungsleistung für die Fahrgäste Richtung Normalzustand ein: Statt 70 Millionen Euro, wie im vergangenen Jahr, sollen es in diesem Jahr erstmal 38,5 Millionen Euro sein, für die Fahrgäste mit Abo oder Jahreskarte bedeutet das: statt zwei Monaten Freifahrt nur noch einen Monat, das macht eine Ersparnis von 58 Euro.

Eine Kollege hat vor kurzem mal die zusätzliche Wartezeit auf seinem Weg zur Arbeit und zurück berechnet, also die Differenz vom eigentlichen Normalzustand zum tatsächlichen, einschließlich der deswegen verpassten Anschlüsse. Das Ergebnis: Eine Verschwendung von 135 Stunden wertvoller Lebens- oder Arbeitszeit, die jetzt also mit je 43 Cent pro Rechnungseinheit vergolten wird.

Das erkennt auch Berlins Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer als „völlig ungenügend“. Mit völlig ungenügend kennt sie sich ja aus. Was macht eigentlich der Senat, außer schimpfen, derzeit gerade konkret, damit aus dem tatsächlichen Normalzustand wieder ein eigentlicher wird? Jeder weiß jetzt, dass der Fuhrpark der S-Bahn nicht ausreicht und dass die vorhandenen Wagen in vielerlei Hinsicht völlig ungenügend sind. Es werden also neue Wagen gebraucht. Neue Wagen! Eine Rieseninvestition, da muss ein Hersteller gesucht und gefunden werden, da muss bestellt und dann geschraubt werden, und zwar in ganz großem Stil. 2017 läuft der Vertrag mit der S-Bahn aus, dann wird er verlängert oder auch nicht, nichts Genaues weiß man nicht. 2017, das klingt fern, ist aber wegen der Größe des Projekts schon jetzt ziemlich knapp. Aber der Senat vertrödelt die Zeit, droht, erwägt, berät, aber er fällt keine Entscheidung. Erwartet der Senat allen Ernstes, dass die S-Bahn in einen neuen Fuhrpark investiert, ohne Klarheit darüber zu haben, ob sie die Züge dann überhaupt noch braucht? Da muss also dringend eine Ausschreibung raus - oder sie schaffen die Züge selber an und schreiben dann nur den Betrieb aus und vermieten die Flotte dazu, so wird es anderswo erfolgreich gemacht. Aber das müsste dann auch ganz schnell gehen, jetzt, so oder so. Aber zu hören ist: nichts. Nicht einmal mehr „Bitte zurückbleiben“. Aber das ist in Berlin ja in der Verkehrspolitik gewissermaßen leider sowieso der Normalzustand.

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