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Kontrapunkt: Wer auf Buschkowskys nicht hört, muss Sarrazin ertragen

Eindeutig ist die Lösung nicht, dafür aber vernünftig. Das ahnen sogar die Genossen, die jetzt protestieren. Das Ende des SPD-Schiedsverfahren gegen Thilo Sarrazin ist nicht nur schlau, sondern auch klug.

Die SPD-Basis, heißt es, sei in hellem Aufruhr gegen die Einstellung des Parteiausschlussverfahrens gegen Thilo Sarrazin. Das ist exakt eine von den halben Wahrheiten, die der Volkspartei SPD die Luft zum Atmen nimmt, wenn sie beginnt, sie für die ganze zu halten. Als der SPD-Parteivorstand das Ausschlussverfahren angestrengt hat, hat sich eine andere Basis gemeldet, mit tausenden Protest-Emails gegen einen Ausschluss. Neu war daran nur, dass diese Stimmen öffentlich und in der SPD zur Kenntnis genommen werden mussten. Ansonsten war es dort längst zur Gewohnheit geworden, die Tücken der neuen sozialen und multikulturellen Realitäten unter den Teppich einer politischen Korrektheit zu kehren, die auf die Lebensrealität der Menschen in den absteigenden Quartieren und Stadtteilen wenig Rücksicht nahm. Denn der durchschnittliche SPD-Funktionär hatte es sich längst in besseren Verhältnissen gemütlich gemacht. Der Preis war eine jahrelange, stumme Abkehr ungezählter Anhänger, die sich in „ihrer“ Partei nicht mehr repräsentiert fühlten.

Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ – Pamphlet hat ans Licht gebracht, dass dieses Gefühl nicht nur gegenüber der SPD in Deutschland weit verbreitet ist. Sarrazin konnte mit seinen überzogenen, gefühllosen, ausgrenzenden Thesen einen traurigen Triumph feiern, weil von Merkel über den Bundespräsidenten und die SPD eine politische und öffentliche Front gegen ihn stand. Die Überzeugungskraft seines Buches lebte von dem Effekt, dass nicht Unrecht haben kann, wer die notorischen Wirklichkeitsausblender in Politik und Medien dermaßen zum Feind hat.

Dass Sarrazins populistische Wirkung auf krachenden biologistischen Thesen und unhaltbaren genetischen Weisheiten beruhte, schlug tatsächlich den Grundsätzen der SPD mehr ins Gesicht als denen der Kanzlerin, der Bundesbank oder des Bundespräsidenten. Denn an ihrer Wiege steht der Glaube, dass jeder Mensch seinen Weg unabhängig von Herkunft, Abstammung oder Geschlecht machen kann. Es ging, da haben die Kritiker des abgeblasenen Ausschlusses Recht, um Grundsätze der SPD. Sarrazin (wahrscheinlich mehr noch sein Anwalt Klaus von Dohnayi) hat davor mit seiner Erklärung eine Verbeugung gemacht. Man kann ihr glauben oder nicht, weil der Widerspruch zu seinen vorherigen Aussagen zu offenkundig ist. Doch hier kommt es nicht auf Sarrazins Überzeugungen an, sondern darauf, dass er denen der SPD seine Referenz erwiesen hat.

Allerdings wäre das nicht mehr als eine schlaue taktische Lösung aus Angst vor einem endlosen Schiedsverfahren, ginge es nur um das Menschenbild der SPD. Unausgesprochen aber ging und geht es bei diesem Verfahren auch um einen anderen Grundsatz der SPD, nämlich ihre Bereitschaft, große Ziele nicht in die Zukunft zu vertagen, sondern im Hier und Jetzt konkrete Verbesserungen für wirkliche Menschen zu erreichen, auf die Gefahr des Risikos, sich die Hände schmutzig zu machen. Politik, lautet der Auftrag an Sozialdemokraten, beginnt damit, auszusprechen, was ist. Und Sarrazin war als SPD-Kenner schlau genug, dieses Motto von Gründervater Ferdinand Lassalle seinem Buch voranzustellen.

Sarrazins Erfolg war eine schwierige Stunde gerade für Sozialdemokraten vom Typus des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky, die sich Chancen und Schwierigkeiten der Migrationsgesellschaft stellen - ohne sich in die Entweder-Oder-Falle („Bist du für oder gegen Migranten“) zu begeben, in die viele lautstarke Kritiker des beendeten Schiedsverfahrens bereitwillig tappen. Es gibt eben beides, gelungene und missglückte Integration. Und tausend erfolgreiche Migrantenlaufbahnen können das Elend des Schulversagens, der Sprachdefizite oder der Zwangsehen nicht aufheben.

Nicht nur über das Menschenbild des SPD-Mitglieds Sarrazin war in diesem Verfahren zu entscheiden, sondern auch darüber, ob sein Ausschluss den Verdacht bestätigt, dass die SPD eine Partei ist, die Diskussionsverbote über die Wirklichkeit verhängt.

Es ist traurig, dass einer wie Sarrazin die SPD vor diesen Knoten schieben konnte. Aber es ist die auch irgendwie gerechte Strafe für zu langes Wegsehen und Darüberhinweggehen. Sigmar Gabriel hat davon längst eine Ahnung. Vor einem Jahr hat er Heinz Buschkowsky demonstrativ den Heinemann-Preis der SPD verliehen, zum Missvergnügen der Berliner Genossen. Doch wer auf die Buschkowsyks nicht beizeiten hört, muss irgendwann einen Sarrazin ertragen, damit die Leute wieder glauben können, dass SPD die Widersprüche der Wirklichkeit ernst nimmt.

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