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Meinung: Krank und frei

Ulla Schmidts Gesundheitsreform nutzt die Chancen der Marktwirtschaft nicht

In der deutschen Automobilindustrie haben in den 80er und 90er Jahren Tausende ihren Job verloren. Obwohl das Auto als des Deutschen liebstes Kind gilt, kam niemand auf die Idee, gesetzlich festzulegen, welchen Einkommensanteil die Bürger in Neuwagen zu investieren haben, um die Arbeitsplätze zu retten. Und den Beitrag zu erhöhen, wenn abermals Jobs gefährdet waren. Es sind nun einmal die Kunden, die entscheiden, wie viel sie fürs Autofahren ausgeben wollen: ob es obere Mittelklasse mit Extras sein muss oder ein Kleinwagen, Grundausstattung, auch tut.

Im Gesundheitswesen ist das anders. Die Pflichtversicherten werden nicht gefragt, ob sie den Standard, den Kassen, Industrie und Ärzte aushandeln, zu diesem Preis wollen oder mit weniger zufrieden wären, wenn sie dafür nicht so viel zahlen. Sie fehlen am runden Tisch, wenn der Umgang mit der Kostenexplosion ausgekungelt wird. Die, die dort sitzen, kennen nur eine Antwort: Es muss mehr Geld ins System. Sparen geht nicht, das ginge zu Lasten der Patienten. Mehr Eigenverantwortung auch nicht, das führe zu einer Zwei-Klassen-Medizin. Und die Qualität sinke unweigerlich, wenn durch Kostendeckelung Arbeitsplätze in Gefahr geraten. Ja, werden auch andere Produkte „made in Germany“ schlechter, nur weil Jobs wegfallen?

Stimmt schon, Gesundheit ist ein anderes Gut als ein Auto. Notversorgung und ein Mindeststandard müssen für alle gesichert sein, unabhängig vom Einkommen. Aber müssen wir den Lobbyisten glauben, dass das deutsche „Gesundheitswesen in Lebensgefahr“ gerät, wenn nicht immer mehr Geld hineingepumpt wird? Sie verwechseln ihr Brancheninteresse mit dem der Versicherten – und kommen damit durch, weil der Durchschnittsbürger sich zwar zutraut, zu entscheiden, ob er für ein Auto 5 000 oder 20 000 Euro ausgeben will, nicht aber, ob Behandlungen 150 oder 2 000 Euro wert sind. Oder verzichtbar. Er hat keine Wahl – sofern er pflichtversichert ist, was für rund die Hälfte der Deutschen gilt: Arbeiter und Angestellte samt Angehörigen. Da sie eh zahlen müssen, versucht jeder, das Maximum rauszuholen. Was die Kosten treibt. Das Interesse der Versicherten, die Kosten auf das Unabdingbare zu begrenzen, damit die Beiträge niedrig bleiben, können sie nicht umsetzen.

Das Vorschaltgesetz ändert daran nichts, es gehorcht den Prinzipien Plan und Zwang. Im besten Fall bringt es etwas Aufschub – Zeit, um die überfällige grundlegende Reform durchzusetzen. Die den Systemwechsel bringen muss: Beschränkung des Pflichtbereichs nach Solidaritätsprinzip auf das Unabdingbare, wie lebensrettende Operationen, – Kostenrisiken, die man dem Individuum nicht zumuten kann. Da das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, darf man dafür alle Einkünfte heranziehen, nicht nur die gut 40 Prozent der Arbeiter und Angestellten, auch die der Beamten und Selbstständigen sowie aus Kapitalvermögen und Vermietung. Durch diese Vervielfachung der Bemessungsgrundlage könnte sich der Versicherungsbeitrag mehr als halbieren. Nimmt man zudem Leistungen wie Brillen, Zahnbehandlung, Begräbniskosten heraus, die niemanden in den Ruin treiben, könnte der Beitrag noch weiter sinken – und den Bürgern bliebe Geld in der Tasche, um selbst zu entscheiden, welche Sehhilfe sie vorziehen und ob sie Kunststoff, Porzellan oder Gold im Mund haben wollen.

Arbeit würde drastisch billiger. Und für Gesundheit würde wohl gar nicht weniger Geld ausgegeben als im Zwangssystem – nur vernünftiger, weil die Kunden sich aussuchen können, was sie für Preis-wert halten.

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