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Lage in Fukushima: Anlass für Optimismus

Aus der Freisetzung von Plutonium und der hohen Radioaktivität des Abwassers kann nicht auf eine Kernschmelze geschlossen werden, die dafür erforderliche Temperatur wird in den Reaktoren schon lange nicht mehr erreicht. Trotzdem ist weiter Vorsicht geboten.

Verstrahlte Arbeiter, freigesetztes Plutonium und jetzt auch noch eine „teilweise Kernschmelze“ – die Nachrichten aus Fukushima klingen so, als steuerten die Unglücksreaktoren geradewegs auf die finale Katastrophe zu. Tatsächlich besteht jedoch Anlass für vorsichtigen Optimismus.

Wie die Betreiberfirma Tepco erst jetzt bekannt gab, wurden schon vor zehn Tagen Spuren von Plutonium im Boden des AKW gefunden. Letzten Donnerstag erlitten zwei Arbeiter Strahlenverletzungen an den Füßen, weil sie ohne Stiefel in eine radioaktive Wasserpfütze getreten waren. Am Sonntagnachmittag stellte Tepco dann fest, dass die unterirdischen Abwasserkanäle der havarierten Reaktoren 1 bis 3 voll gelaufen sind. In Block 1 steht die verseuchte Brühe nur noch zehn Zentimeter unter dem Überlauf. Das Abwasser aus Block 2 ist stark radioaktiv belastet. Aus den dürren Daten schloss Tepco, dass eine „teilweise Kernschmelze“ eingetreten sei – und trat eine weltweite Welle der Hysterie los.

Tatsächlich kann jedoch aus der Freisetzung von Plutonium und der hohen Radioaktivität des Abwassers nicht auf eine Kernschmelze geschlossen werden. Die Werte zeigen lediglich, dass der Kernbrennstoff (Uranoxid in den Blöcken 1 und 2 beziehungsweise Mischoxid in Block 3) Kontakt mit dem Kühlwasser hat, also mindestens ein Brennstab undicht geworden ist. Dass die aus einer Zirkonium-Legierung (Zirkalloy) bestehende Hülle der Brennstäbe beschädigt ist, steht jedoch spätestens seit den Explosionen vom 12. und 14. März fest. In den damals fast trockenen und überhitzten Brennstäben hatte das Zirkalloy mit Wasserdampf zu leicht brennbarem Wasserstoff reagiert. Beim Druckablassen strömten Wasserstoff und radioaktive Zerfallsprodukte in das Kraftwerksgebäude, kurz darauf kam es zu den Explosionen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde dabei auch Plutonium freigesetzt, das in Mischoxid (zu etwa sieben Prozent) von vornherein vorhanden ist und aus Uranoxid bei der Kernspaltung entsteht. Die jetzt gemeldeten Plutoniumspuren sind deshalb kein Hinweis auf eine Verschlimmerung der Situation oder gar eine beginnende Kernschmelze.

Möglicherweise haben sich in den ersten Tagen nach der Schnellabschaltung, als zeitweise überhaupt nicht gekühlt werden konnte, tatsächlich einige Brennstäbe so stark überhitzt, dass der darin enthaltene Kernbrennstoff stellenweise geschmolzen ist (was Tepco wohl mit „teilweiser Kernschmelze“ gemeint hat). Die dafür erforderliche Temperatur von etwa 2800 Grad Celsius wird in den Reaktoren jedoch schon lange nicht mehr erreicht, da die Wärmeentwicklung logarithmisch abnimmt und die Brennstäbe seit einer Woche kontinuierlich gekühlt werden. Seitdem gab es auch keine kritischen Druckanstiege mehr. Solange – wie derzeit – die untere Hälfte der Brennstäbe im Kühlwasser steht, findet auch im oberen Teil keine relevante Brennstoffschmelze statt. Zum Vergleich: Beim Harrisburg-GAU von 1979 kam es, bei Totalausfall der Kühlung unter etwa 155 Megawatt thermischer Leistung, 224 Minuten nach der Abschaltung zur Kernschmelze. Die Brennstäbe in Fukushima produzieren dagegen derzeit pro Kilogramm nur noch rund 50 Watt Nachwärme.

Mittlerweile werden alle drei Unglücksreaktoren wieder mit Süßwasser gekühlt, statt der Feuerwehrfahrzeuge sind jetzt elektrische Pumpen im Einsatz. Die befürchtete Blockierung der Kühlung durch Krusten von Meersalz ist nicht eingetreten. Möglicherweise muss noch einige Male Druck abgelassen werden, wobei wieder etwas Radioaktivität in die Umwelt gerät. Trotzdem darf man verhalten optimistisch sein, dass im Laufe einiger Wochen bis Monate die Kaltabschaltung der Reaktoren gelingt.

Bis dahin kommt es darauf an, eine größere Strahlenbelastung von Umwelt und Nahrungsmitteln zu verhindern. Die Abwasserüberläufe der Reaktoren sind weniger als 70 Meter vom Meer entfernt. Insbesondere das radioaktive Cäsium-137 ist gefährlich, weil es sich in Wasserpflanzen und Fischen anreichert und eine Halbwertszeit von 30 Jahren hat. Ein Sprecher von Japans Atombehörde erklärte am Montag, es bestehe keine Gefahr, weil im Umkreis von 20 Kilometern um Fukushima das Fischen ohnehin verboten sei. Besonders beruhigend ist das nicht: Die in Japan besonders beliebten Thunfische legen pro Jahr einige tausend Kilometer zurück.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle. Auf www.tagesspiegel.de/wissen schreibt er den Fukushima-Blog „Die tägliche Dosis“.

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