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LEICHTS Sinn: Konsenskandidaten will niemand

Warum soll nicht auch ein mit knappster Mehrheit gewählter Bundespräsident überzeugend wirken? Auch um das höchste Amt sollte es einen Wettbewerb geben.

Wenn die nahtlos ineinander übergehenden Auseinandersetzungen erst um Christian Wulff, dann um Joachim Gauck eines gezeigt haben, dann dies: So irrelevant kann das Amt des Bundespräsidenten nun wahrlich nicht sein, dass man es gleich in Bausch und Bogen abschaffen könnte – wie es so mancher Spaßvogel oder Staatsverächter unterdessen behauptet hatte. In aller ihrer Gegensätzlichkeit – bei Wulff konnte die Wertschätzung schließlich kaum noch tiefer fallen, bei Gauck konnte sie kaum noch überhöht werden – zeigen die beiden Diskurse, und zwar ungeachtet aller medialer Überreizungen, dass es doch ein Bedürfnis gibt nach einer Person an der Spitze unseres Gemeinwesens, zu der man entweder achtungsvoll aufschauen oder auf die man im Bedarfsfall wenigstens verachtungsvoll herabschauen kann: So oder so „fühlt sich“ der Herr Staatsbürger einfach besser, vor allem kollektiv.

Bei dem Staatsrechtler Rudolf Smend (1882–1975) wäre dieser soziologische Sachverhalt in das Kapitel „persönliche Integration“ seiner berühmten, wenn auch anfechtbaren Integrationslehre gefallen – denn wollen wir uns als freiheitliche Bürger und Individuen in einer offenen Gesellschaft wirklich alle „zusammenfassen“ lassen? Oder sind wir uns nicht gerade darin einig, dass wir frei miteinander streiten können? Sei’s drum – die Suche nach einem „Konsenskandidaten“ hätte Smend sicherlich zu einer eigenen Fußnote veranlasst.

Denn so schön der Begriff „Konsenskandidat“ oder „überparteilicher Kandidat“ zunächst klingen mag, die unpolitischen, ja latent antidemokratischen – und letztlich auch etwas unehrlichen – Untertöne sind ja kaum zu überhören. Warum soll nicht auch ein mit knappester Mehrheit gewählter Bundespräsident wie Gustav Heinemann genauso überzeugend sein wie der beim zweiten Mal mit überragender Mehrheit gewählte Richard von Weizsäcker? Und es wird doch wohl genügend Persönlichkeiten in einem 80-Millionen- Volk geben, um die Bundesversammlung vor eine echte Wahl stellen zu können.

In Wirklichkeit war diese von Angela Merkel angestoßene Übung in Überparteilichkeit nichts anderes als ein Stück ausgemachter Parteipolitik gewesen. Was man im Übrigen auch gut an der beleidigten Reaktion der von der gemeinsamen Suche ausgeschlossenen Linkspartei ablesen kann. Aber was hätte die Linke erst gesagt, wenn man in die von ihr geforderte Beteiligung aller Parteien konsequenterweise zugleich noch die NDP, die Piraten und die Freien Wähler einbezogen hätte? Insofern liegt im Ausschluss der Linkspartei aus der „Such-Koalition“, dem ja weder die SPD noch die Grünen widersprochen hatten, auch ein Hinweis darauf, wie weit der mentale „Verfassungsbogen“ sich derzeit spannt. Einmal ganz abgesehen von der schon rein taktisch willkommenen Nebenfolge, dass die SPD im Vorfeld der heraufziehenden Bundestagswahl von der Versuchung befreit wurde, mit der Linkspartei auf allerhöchster Ebene gemeinsame Sache zu machen.

Der Hauptzweck der gesamten Übung „Konsenskandidat“ bestand also darin, der Kanzlerin das Risiko abzunehmen, dass ihre Koalition zwar immer noch über eine äußerst knappe Mehrheit in der Bundesversammlung verfügt, aber beim dritten Anlauf nach Köhler und Wulff mit dem Versuch scheitern könnte, nochmals einen „eigenen“, also gewissermaßen „normalen“ Kandidaten durchzusetzen. Nicht das Gemeinwohl, nein, die Kanzlerin musste gerettet werden.

Am Ende aber können wir froh sein, dass mit Joachim Gauck trotzdem noch jemand auf den Schild gehoben wurde, der auch dem Gemeinwesen sehr, sehr guttun kann. Wenn er sich, bitte, nur nicht von den überreizten Erwartungen davontragen lässt.

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