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Lesermeinung: Das Böse braucht das verzerrte Heilige

Am 13. Januar erschien in den PNN der Artikel von Kai Müller „Erst stech“ ich dich, dann fress“ ich dich“, der sich, wie es im Untertitel heißt, der Frage widmet, „Warum unsere Kultur immer wieder von Menschenfressern fasziniert ist“.

Am 13. Januar erschien in den PNN der Artikel von Kai Müller „Erst stech“ ich dich, dann fress“ ich dich“, der sich, wie es im Untertitel heißt, der Frage widmet, „Warum unsere Kultur immer wieder von Menschenfressern fasziniert ist“. Er nimmt sich aus wie ein kulturgeschichtlicher Spaziergang zum Thema Kannibalismus. Anstelle der dem Leser in Aussicht gestellten Beantwortung der Frage nach dem Warum reiht der Autor, in scheinbar wahlloser Folge, Beispiele von realem oder fiktivem Kannibalismus aus der Ethnologie, der Kunst und Literatur und der jüngsten Kriminalgeschichte aneinander. En passant wird dabei ganz naiv der seit dem Bestehen des Christentums erhobene Vorwurf des vermeintlichen kultischen Kannibalismus aufgegriffen. De folgenden Gedanken mögen dazu beitragen, durch sachliche Richtigstellung in diesem Punkt die Faszination des Themas aufzuklären helfen. Ich beziehe mich dabei auf den Abschnitt des Artikels, in dem es heißt: „Bis heute hält die katholische Kirche an der Transsubstantiationslehre fest, nach der sich Wein und Brot in Jesus“ wahren Leib und wahres Blut verwandeln. Der Priester verzehrt den Messias, um sich leiblich mit ihm zu vereinigen. In dieser mythischen Verinnerlichung findet das Wissen, das wir sterben werden, seinen christlichen Trost. Man braucht also kein Teufel zu sein, um im Kannibalismus einen Sinn zu sehen". Zur theoretischen Begründung der Transsubstantiationslehre der katholischen Kirche wären in diesem Zusammenhang zwei Punkte herauszuheben: 1.) Eine Theologie des Opfers, wie sie der Verfasser des Hebräerbriefes entwickelt hat. Dort heißt es von Jesus Christus: „Jetzt aber ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen. Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das Gericht folgt, so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinweg zunehmen" (Hebr 9, 26-28). Der Tod Jesu am Kreuz wird in der Opferhandlung der Heiligen Messe repräsentiert. Repräsentation bedeutet „Wiedervergegenwärtigung“, zunächst für das Bewusstsein. Die Vorsilbe „re“ impliziert eine Zeitbestimmung und verweist auf den Erinnerungscharakter des Geschehens. Dass in der Repräsentation von der Kirche zugleich eine reale Präsenz erfahren wird, bleibt ein mysterium fidei, ein Geheimnis der Glaubens. Diese ist jedoch nicht dahingehend auszulegen, dass der handelnde Priester, Christus noch einmal kreuzigen würde oder müsste. 2.) Die Lehre von der Transsubstantiation beinhaltet eine Unterscheidung von Substanz und Akzidentien der konsekrierten Elemente Brot und Wein. Sie in Kürze, ohne Erläuterung des philosophischen Hintergrundes, verständlich zu machen, ist äußerst schwierig. Erwähnt sei nur, dass Brot und Wein nach dieser Auffassung in ihren mit den Sinnen erfassbaren Eigenschaften als solche weiterbestehen. Allein die Substanz, die ihnen zugrunde liegt und selbst nicht empirisch erfasst werden kann, wandelt sich in den Leib Christi, nach der Lehre der katholischen Kirche, wie sie für die Gläubigen verbindlich das 4. Lateranskonzil 1215 festgelegt hat. Was Kai Müller als „mystische Verinnerlichung“ durch den Messias verzehrenden Priester beschreibt, wird von der Kirche im Glauben als Heilsgeschehen, dass nicht nur die unmittelbar Teilnehmenden, sondern die Menschheit als Ganze betrifft, erfasst. Damit ist es aber nicht vor Pervertierungen durch kollektive oder individuelle Phantasien geschützt. Das Böse kann in sich selbst keinen positiven Ausdruck finden. Es braucht das verzerrte Heilige, um sich äußern zu können. Wenn der Autor in postmoderner Lockerheit und Unbekümmertheit formuliert: „Man braucht also kein Teufel zu sein, um im Kannibalismus einen Sinn zu sehen“, stellt sich der Frage, was er unter Sinn versteht - wenn er überhaupt etwas darunter versteht. Was er selbst am Ende des Artikels als „nüchterne Logik“ bezeichnet, sollte damit nicht zu verwechseln sein. Das Böse zeigt sich nicht nur in der Pervertierung des Guten, dem Menschen Heilsamen, sondern gerade auch in seiner Sinnlosigkeit. Corinna Schwarz, Potsdam

Corinna Schwarz

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