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Lesermeinung: „Die Entschuldigung ist eine erneute Beleidigung“

Briefe zu den umstrittenen Äußerungen von Innenminister und CDU-Chef Jörg Schönbohm über Ursachen von Gewalt und Gleichgültigkeit im Osten. Zu: „Da befällt einen die wilde Schwermut“, 3.

Briefe zu den umstrittenen Äußerungen von Innenminister und CDU-Chef Jörg Schönbohm über Ursachen von Gewalt und Gleichgültigkeit im Osten. Zu: „Da befällt einen die wilde Schwermut“, 3.8. Ich war über die Äußerungen nicht nur bestürzt, sondern auch wütend. Was denkt sich ein Mensch, der ein ganzes Volk als verwahrlost und gewaltbereit hinstellt. Und im Kontext zum neunfachen Kindsmord – vom theoretischen Standpunkt her – als Serienmörder deklassiert? Ein Ausrutscher? Wohl kaum! Denn in einem weiteren Interview untermauert er seine „These“ mit der „Teilnahmslosigkeit der Menschen“ und durch Aufzählungen von Straftaten im Ostteil Deutschlands. Was darf ein Mensch, der im politischen Leben und somit in der Öffentlichkeit steht? Die Medien missbrauchen für seine klein geistigen, persönlichen Vorurteile, um aus seiner tief verwurzelten negativen Haltung und Einstellung heraus, ein schlechtes Stimmungsbild gegen diese Menschen zu initiieren? Welches Stimmungsbild erzeugen solche Aussagen? Die ehemaligen DDR-Bürger sind brüskiert, verletzt und hegen Zweifel am demokratischen System, oder zeigen Politikverdrossenheit. Welche Wirkung haben diese Worte auf die ehemaligen westlichen Bundesbürger, betrachtet unter dem Fokus der Wiedervereinigung und der schlechten wirtschaftlichen Situation? Wird dadurch die Kluft zwischen Ost und West nicht noch größer? Ist die Haltung des Innenministers eine Ausnahmeerscheinung, hervorgerufen aus seinem persönlichen Vorurteil, oder ist es nur die Spitze des Eisberges und gibt die Haltung der gesamten CDU wider? Diese Frage stellt sich mir als Wählerin, denn auch ich bin eine ehemalige DDR-Bürgerin, die seit 15 Jahren im Westteil Deutschlands lebt. Die Äußerungen von Herrn Schönbohm sind unverzeihbar und nicht wieder gut zu machen. Sie sind ein Affront gegen alle ehemaligen DDR-Bürger! Ute Kloppenburg, 66869 Kusel Zu: „Da befällt einen die wilde Schwermut“, 3.8. Es bestreitet niemand, dass es in der DDR vielerlei Restriktionen gab – im Verhältnis zu unserer gegenwärtigen parlamentarischen Demokratie. Jedoch wird jeder objektiv urteilende Sozialwissenschaftler bestätigen, dass insbesondere die Mutter-Kind-Entwicklung durch staatliche Fürsorge kontrolliert und behütet wurde. Der Begriff „Proletarisierung“ diskriminiert breite Bevölkerungsschichten. Ein Innenminister sollte seine Worte sorgfältiger wählen. Herr Schönbohm war General und denkt offenbar heute noch in diesem Lebensbereich, himmelweit von staatlicher Mutter-Kind-Fürsorge entfernt. Letzteres ist nicht sein Metier. Ich hoffe, dass er nach der Bundestagswahl eine Funktion annehmen wird, die seinen Fähigkeiten besser entspricht.Grit Krüger, Potsdam Zu: „Tote Seelen“, 4.8. Diesen Artikel empfinge ich als eine Beleidigung aller Brandenburger! Die Gewalttaten sind abscheulich, unmenschlich und in jedem Fall zu verurteilen. Aber die Schlussfolgerungen und Verallgemeinerungen müssen bei normal empfindenden Menschen Protest hervorrufen. Ich bin zwar seit 1954 in Brandenburg zu Hause. Ich bin 81 Jahre alt, habe die Weimarer Republik in den letzten Zügen erlebt und habe das „1000-jährige Reich“ und den „Arbeiter- und Bauernstaat“ überstanden. Nun muss ich erleben, wie Menschen verallgemeinert und in einen Topf geschmissen werden. Der Artikel sagt aus: Die Brandenburger sind nichts wert, weil sie „proletarisiert“ wurden, das habe ihre Mentalität geprägt. Für die anderen, neuen Bundesländer gilt das nicht – hatten die eine andere Staatsführung? Es ist aber auch bekannt, dass in der DDR die Menschlichkeit und die Hilfsbereitschaft untereinander sehr groß war. Jetzt sind die Menschen weniger zugänglich, im Vordergrund stehen Geld, Besitz, Eigentum. Das Verhalten ist wesentlich egoistischer geworden. Was die Brutalität von jugendlichen Tätern anbelangt, so werden ja über die Medien, mehr als je zuvor, Anregungen gegeben, die zur Nachahmung anregen. K. Zschau, Potsdam Zu: „Schönbohm entschuldigt sich“, 5.8. Herr Schönbohm macht es sich sehr leicht. Die Entschuldigung ist eine erneute Beleidigung – halbherzig und verlogen. Er entschuldigt sich bei denen, die ihn „missverstanden" haben. Was ist an diesem Ausspruch eigentlich falsch zu verstehen? Worte sind stets Ausdruck des Denkens, und das, was gesagt wurde, ist nicht ein Ausrutscher, ein Formulierungsfehler, sondern entlarvt erneut seine Grundeinstellung zu den Menschen im Osten. Alles, was DDR war, wer aus ihr kommt, das Gute an ihr verteidigt, taugt nichts. Und der Kreis derer, die sich gegen eine Verleumdung der DDR im Ganzen wehren, wird jetzt größer. Kein Wunder! Wer sieht denn noch eine Perspektive? Herr Schönbohm sagt, er wolle uns aufrütteln. Ich frage zurück: Wofür soll ich in dieser Gesellschaft – die auf Macht und Profit ausgerichtet ist; in der Menschen immer weniger wert und nur Kostenfaktoren sind; Korruption an der Tagesordnung ist – aufgerüttelt werden? Das Gesagte ist nicht entschuldbar, Rücktritt ist angezeigt. Christa Klose, Potsdam

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