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Lesermeinung: Theater – wozu ?

Bis zum Schulabschluss 1973 war ich begeisterter Theaterbesucher in Potsdam. Eng an der Vorlage orientierte Aufführungen klassischer Dramatik eröffneten mir unmittelbaren Zugang zu Potsdams Prägungsphase und Glanzzeit.

Bis zum Schulabschluss 1973 war ich begeisterter Theaterbesucher in Potsdam. Eng an der Vorlage orientierte Aufführungen klassischer Dramatik eröffneten mir unmittelbaren Zugang zu Potsdams Prägungsphase und Glanzzeit. Bis heute unvergessen sind mir u.a. Carmen Maja Antoni als Minna von Barnhelm'' oder Hermann Beyer als Egmont''. Winfried Glatzeder erlebte ich in klassischer und zeitgenössischer Dramatik. Eine ganze Reihe bemerkenswerter Schauspiel-Talente der DDR benutzten das Hans Otto Theater als Sprungbrett. HOT-Intendant Gero Hammer besaß ein Gespür für solche Talente. Sie konnten sich entfalten und entwickeln. In der Studentenzeit in Halle/Saale lernte ich Provinztheater kennen und mein HOT richtig schätzen. In Halle war für mich über zwei quälende Saison-Anrechte Jan Spitzer der einzige Lichtblick in einer weitgehend trostlosen Theaterszenerie. Nach Potsdam zurückgekehrt, sah mich mein Hans Otto Theater trotzdem eher selten. Das lag an einem holprigen Berufseinstieg mit Pendelei, der Familiengründung, Klein-Kinder-Phase usw. Heute bedaure ich sehr, die dem niveauvollen HOT noch verbleibenden Spielzeiten bis 1990 nicht stärker frequentiert zu haben. Hier soll auch nicht fehlen, dass ich mich auf den Theaterneubau am Alten Markt gefreut habe. Ein absehbares Ende der Ödnis im Zentrum mit sinnvoller Zwischennutzung vor einem zügigen Schloss-Neubau in weiterer Zukunft erschien mir klüger als ein Dauer-Luftschloss. Bekanntermaßen folgte dann eine der für Potsdam so zeitlos typischen Provinzpossen. Im Konzept soll alles großartig aussehen, großartiger als in Berlin. Im Vorfeld scheinen Titanen am Werke zu sein. Aber in der Realisierung sieht man dann oft nur Zwerge. Der Weg zum Ziel ist unklar, niemand scheint sich Gedanken zur Überbrückung der Zwischenzeit gemacht zu haben. Kurz: Gero Hammer musste gleich als erstes weg. Es sollte sofort alles internationaler, globaler, westlicher, freiheitlicher sein. Dafür gab es in der folgenden Spielzeit die erste Quittung. Der Theater-Rohbau sollte als nächstes verschwinden. Daran tobten sich die bürgerbewegten Potsdamer Bilderstürmer so richtig aus. Phantasielose Zeitgenossen rümpften die Nase, sie konnten sich das fertige Ganze nicht vorstellen. Jetzt steht etwas Vergleichbares in beinahe identischen Dimensionen in der Schiffbauergasse. In zeittypischem, raschem Abstieg landeten wir in der Blechbüchse am Alten Markt. Aus Solidarität zum Ensemble hielten wir noc die Treue. Irgendwann hatte man dann aber doch genug von den „Tatü-tata“-Improvisationen in klassischen Konzerten und dem unausweichlichen Straßenbahn-Gequietsche, ausgerechnet in den stilleren Drama-Szenen. Hinzu kam der immer stärkere Eindruck der Ziellosigkeit des bürgerlichen Theaters. Da soll kein progressiver Menschentyp mehr geformt werden. Er könnte später mit seiner Zivilcourage Schwierigkeiten bereiten. Die deutsche Einheit ist auch da, dieser 500-Jahre-Dauerbrenner hat sich damit erledigt. Gesellschaftliche Veränderungen stehen nicht zur Debatte. Sich hier aus dem Fenster zu lehnen, könnte die Förderung kosten. Also spielt man, „um der Kunst willen“. Einer eigenwilligen, ich-bezogenen Interpretation klassischer Stoffe folgt die nächste. In zeittypischer Nach-uns-die-Sintflut-Mentalität scheint kaum ein Theatermensch mehr daran zu denken, nachwachsende Generationen werktreu an die klassischen, humanistischen Bildungsinhalte heranzuführen, wie wir es erleben durften. Wozu also noch Theater ? Wir wollen das HOT in dieser Form nicht mehr. Sein neuer Standort erinnert mich an Lauchhammer oder Böhlen-Espenhain. So stolpert der Potsdamer Bildungsbürger auf dem Weg in sein Theater über die Parkbereiche und die Innenstadt der einzigen, markanten Industrie-Insel in der alten Residenzstadt entgegen. Angesichts dessen, was ihn erwarten dürfte, möglicherweise keine unpassende Einstimmung Dr. Bernd-R. Paulke, Potsdam-Eiche

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