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Liberalisierung: Die DDR war keine Insel

Liberalisierung in Ungarn, Polen und der CSSR machte den Sturz der SED erst möglich.

Natürlich kann man Gedenktage oder Jahre prinzipiell langweilig finden. Das war in Deutschland weit verbreitet, und es war auch durchaus verständlich, bot doch unsere jüngere Geschichte nicht so arg viel Ruhmreiches, dessen man sich gerne erinnerte. Das hat sich mit dem Fall der Mauer und mit dem Sieg der unblutigen Revolution in der DDR geändert. Die Zahl der Symposien, Vorträge und Ausstellungen wächst im 20. Jahr der Zeitenwende kontinuierlich an – und damit auch die Gefahr der Beschränkung des Erinnerungsfokus auf das deutsche Geschehen.

Dem versuchen in europäischen Zusammenhängen denkende Politiker und Historiker entgegenzuwirken. In Berlin engagieren sich da etwa das „Forum Berlin“ der Stiftung Zukunft Berlin und eine gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, dem Polnischen Institut Berlin und dem Goetheinstitut veranstaltete Konferenz im März. Uwe Lehmann-Brauns schließlich, der der CDU angehörende Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, forderte den Regierenden Bürgermeister auf, zum Jahrestag osteuropäische Bürgerrechtler der siebziger und achtziger Jahre, allen voran Vaclav Havel, nach Berlin einzuladen.

Diese Initiativen wollen den Blick darauf lenken, dass es ohne die Reformprozesse in Polen, Ungarn und der früheren tschechoslowakischen Republik nicht zur Erosion des SED-Regimes gekommen wäre. Die Geschichtsforschung zählt zu den Ereignissen, die den sowjetisch überwachten Machtapparat im Ostblock erschütterten selbstverständlich die Volksaufstände 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, den Prager Frühling bis 1968, die Charta 77 der CSSR-Bürgerrechtler und das Erstarken der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc in Polen, das im August 1989 zur Wahl Tadeusz Mazowieckis führte, des ersten nichtkommunistischen Regierungschefs Osteuropas seit 40 Jahren.

Zwei Ereignisse aber waren es ganz unmittelbar, die der DDR-Führung deutlich machten, dass ihre Repressionen gegen die Bevölkerung endgültig zum Scheitern verurteilt waren. Am 8. Juni 1989 öffnete der ungarische Außenminister Gyula Horn zusammen mit seinem österreichischen Kollegen Alois Mock den Grenzzaun bei Sopron und machte damit den Fluchtweg für Tausende von DDR-Bürgern in den folgenden Wochen frei. Am 30. September 1989 konnten mehr als 4000 auf das Gelände der bundesdeutschen Botschaft in Prag geflüchtete DDR-Bürger in die Freiheit reisen, Anfang November erlaubte die tschechoslowakische Regierung allen ostdeutschen Touristen die Ausreise Richtung Westen.

Es mutet wie eine bittere Ironie an, wenn einige der Reformstaaten, ohne die es den Mauerfall wohl nicht gegeben hätte, heute besonders massiv unter der Weltfinanzkrise leiden. Jene Zyniker, die sich Pragmatiker nennen, werden uns nun vermutlich erklären, dass Dankbarkeit keine Kategorie politischen Handelns sei. Es gibt aber beruhigende Anzeichen dafür, dass die deutsche Regierung ihre moralische Verantwortung sieht.

Gerd Appenzeller

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