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Männlein blau, Weiblein rosa: Diese Toilette auf Malaysia ist das Gegenteil von Unisex.

© dpa

Lob des Unisex-WCs: Der Klo? Die Klo? Das Klo!

Kreuzberg bekommt Unisex-Toiletten? Haben wir keine wichtigeren Probleme? Kann die Gender-Mafia endlich Ruhe geben? Wer so fragt, übersieht, dass es hier nicht um WCs geht. Sondern darum, wie eine Gesellschaft mit Anderssein umgeht.

Man staunt immer wieder, welche Themen als Aufreger taugen. Ich hätte gedacht, das Unisex-Klo sei seit „Ally McBeal“ im Mainstream angekommen. Für alle, die damals noch nicht geboren waren: Das war eine um die Jahrtausendwende beliebte Anwaltsserie, die in einer Bostoner Kanzlei spielte. Die komischsten Szenen fanden im Toilettentrakt der Kanzlei statt, den alle Geschlechter gemeinsam nutzten. Das Unisex-Klo als sozialer Raum mit Entertainment-Faktor war damit popkulturell etabliert.

Nun ist das Thema nicht immer so spaßbesetzt. Für viele mag es selbstverständlich sein, sich als „Frau“ oder „Mann“ zu definieren. Für andere ist es das nicht, etwa für Inter- und Transsexuelle. Für sie bedeutet jeder Gang auf ein Männer- oder Frauen-Klo ein Stück Diskriminierung: Hier werden sie zur Einordnung gezwungen. Die Mehrheitsgesellschaft muss das nicht achselzuckend ignorieren, das zeigt ein Blick in die USA. Mehr als 150 Unis bieten dort geschlechtsneutrale Toiletten, Duschen und Umkleiden an. Wenn nun also der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in öffentlichen Gebäuden Unisex-WCs einrichten möchte, kann ich nur ein Ärgernis erkennen: dass das erst jetzt passiert. Was US-Provinz-Unis können, können wir auch!

Offenbar wurde in Berlin weniger „Ally McBeal“ geguckt, als ich dachte. Im Internet, in den Zeitungen (auch im Tagesspiegel), im Fernsehen wird gezetert und gespöttelt, was das Zeug hält. Um es mit „RTL-Explosiv“ zusammenzufassen: „Unisex-Klos, wie doof ist das denn?“ Oder, pseudo-intellektuell: Die Klos werden uns von politisch hyperkorrekten Judith-Butler-Exegeten aufgezwungen, die weismachen wollen, dass Frau und Mann soziale Konstrukte sind, obwohl doch alle wissen, dass schon kleine Mädchen und Jungen gaaaanz unterschiedlich... Uswusf. Seufz. Die Leier quietscht im Klodiskurs besonders. Jetzt mal ehrlich: Im Privaten sind alle Menschen politisch hyperkorrekte Judith-Butler-Exegeten. Ich kenne keine(n), die/der zu Hause getrenntgeschlechtliche Badezimmer eingerichtet hat.

Zugegebenermaßen trifft man zu Hause im Bad selten auf Wildfremde. Ich verstehe, dass Frauen eine öffentliche Toilette ungern mit Männern teilen, die fröhlich mitten im Raum am Pissoir urinieren. Viele Männer (ich auch) finden es ebenfalls nur semigemütlich, wenn einem beim Pinkeln der Nebenmann auf dem Fuß steht. Statt sich über Genderfragen zu mokieren, sollte man mal lieber über Toilettenarchitektur nachdenken.

Vorne Kabinen, hinten Pissoirs: Es könnte so einfach sein!

Die hat viel mit Intimsphäre zu tun, was mir wichtiger ist als das Geschlecht meiner Mitklogänger_innen. Die Berliner Clubs eignen sich da gut als Anschauungsobjekte. Vom Berghain bis zum Ritter Butzke haben viele längst die Mauern zwischen den Geschlechtern eingerissen. Das „Enklave“ in Kreuzberg hat das (zu) wörtlich genommen. Dort stehen zwei Kloschüsseln in einem Raum, keine Wand dazwischen, kein gar nichts. Dass das für viele keine Option ist – verständlich! Ganz anders der „Südblock“ am Kotti. Wer dort aufs „All-Gender-Klo“ geht, kommt erst an Waschbecken, dann an Kabinen vorbei. Ganz am Ende des Trakts, durch eine Sichtblende verdeckt: ein Extra-Raum für Pissoirs. Wenn Unisex-Klos so aussehen: Mehr davon!

Womöglich hilft das sogar, Geschlechterklischees zu überwinden. Vor kurzem verirrte sich im Tagesspiegel eine Besucherin aufs Herren-Klo. „Ist ja erstaunlich sauber hier“, war ihr Kommentar.

Spätestens jetzt wird der Einwand kommen: Haben wir nicht wichtigere Probleme? Klar haben wir die, die Bankenkrise oder den BER. Bis am BER – neuer Chef hin oder her – die ersten Passagiere austreten müssen, dürften aber gefühlt 237 Jahre vergehen. Warum in der Zwischenzeit nicht Sachen anpacken, die eigentlich leicht zu regeln sind? Und die grundsätzliche Diskussionen anstoßen könnten: etwa, wie eine Gesellschaft mit Anderssein umgeht. Wer sich in Harvard für einen der neuen „Massive Open Online Courses“ anmeldet, kann neben „male“ und „female“ auch „other“ als Geschlecht wählen. Das kann man als Chance begreifen, und nicht nur als Gelegenheit für blöde Witze.

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