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Haben die Beruhigungspillen gewirkt? Angela Merkel bei der Abstimmung zu ESM und Fiskalpakt im Bundestag.

© dapd

Merkel nach dem EU-Gipfel: Vorsicht vor der Überdosis!

Für Merkels Nachgeben in Brüssel gab es gute Gründe. Es wird nur immer schwieriger, das den eigenen Leuten und dem Volk zu erklären, wenn sie zuvor Beruhigungspillen à la "so lange ich lebe" verteilt.

Von Robert Birnbaum

Als es mit Helmut Kohl zu Ende ging, konnte man das an dem Jubel vorausahnen, den ein Hoffungsträger namens Wolfgang Schäuble von einem Parteitag bekam. Gerhard Schröders letzte Tage ließen sich an den Abweichlern abzählen, die ihm die Gefolgschaft verweigerten. Angela Merkel hat in Brüssel eine Niederlage erlitten und für ihren Euro-Rettungskurs im Bundestag die eigene Mehrheit nicht. Die Opposition ruft den Anfang vom Ende aus: erst das Ende der Eisernen in Europa, dann der Kanzlerin in Deutschland. Dies zu tun, ist Pflicht der Opposition. Aber auch eine Pflichtübung kann ja Wahrheit enthalten.

Tatsächlich verweisen die 26 Gegenstimmen aus der Koalition gegen den Euro-Rettungsschirm ESM auf Merkels grundlegendes Problem – und es ist kein Trost, dass es jedem anderen an ihrer Stelle ganz genauso ginge: Nicht nur das Volk, auch seine Repräsentanten sind der Euro-Rettung müde. Unter den 26 sind ein paar, denen dieses Europa sowieso nicht passt, und einige wenige, die ihr Nein fachlich begründen können. Den meisten geht es wie den übrigen: Sie verstehen nur noch Bahnhof, steigen aber nicht mehr mit ein aus lauter Angst, im falschen Zug zu landen.

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Das gängige Mittel gegen diese Art der Reisekrankheit ist die Beruhigungspille. Merkel hat neulich stark überdosiert, als sie der FDP-Fraktion schwor, sich gegen Euro-Bonds mit Einsatz ihres Lebens zu stemmen. Aber im Prinzip waren solche Formeln – keine „Transferunion“, niemals – von Anfang an die Lutschdropse, die Union und FDP selbst einwarfen und ihren Wählern verabreichten.

Das ist, verstehen wir uns nicht falsch, völlig legitim. Wer als hoch respektierter Spezialist für innere Sicherheit im Bundestag einer Versammlung normal besorgter Bürger erklären soll, was die Merkel da eigentlich in Brüssel treibt, kann gar nichts anderes sein als überfordert. Also sagt er: Die Bundeskanzlerin sorgt dafür, dass unser Geld nicht verprasst wird. Keine Leistung ohne Gegenleistung, nix Euro-Bonds, nix Transferunion.

Diese Vereinfachung wird indes zum Problem, wenn das Leben zu kompliziert wird. Angela Merkels Leben war in der letzten langen Nacht in Brüssel sehr kompliziert. Grob gesprochen stand sie vor der Wahl, ihre Prinzipien hochzuhalten um den Preis, dass im Bundestag der Fiskalpakt und der ESM scheitern, oder dem Italiener Mario Monti entgegenzukommen. Sie war klüger und gab nach.

Dafür gibt es gute Gründe. Erstens verhalten sich SPD und Grüne ungeachtet allen gelegentlichen Getöses in Sachen Europa derart verantwortungsvoll, dass es töricht wäre, diese Unterstützung durch Husarenstreiche zu gefährden. Zweitens bemüht sich der Italiener Monti ehrlich darum, Berlusconis Operettenstaat zu reformieren. Es wäre doppelt töricht, ausgerechnet diesen Reformer vom Zinsdruck erdrücken und unter Kuratel einer Troika stellen zu lassen, bloß um ein Prinzip in voller Schönheit zu bewahren. Abstrakt hat Merkel eine Niederlage erlitten, die sich rächen könnte, wenn in Rom mal wieder ein Leichtfuß an die Macht käme. Konkret war die Niederlage sinnvoll, schon um den Leichtfuß zu verhindern.

Das ist nur einer eigenen Truppe kaum zu erklären, die verzweifelt ihre Beruhigungspillen lutscht. Merkel muss nicht fürchten, dass es in Europa jetzt tatsächlich immer so weitergeht – die Zwangslage war einmalig, mit der Monti gegen sie pokern konnte. Fürchten muss sie aber, dass der Eindruck entstehen könnte, von nun an gehe es bergab. Dann hören die Pillen auf zu wirken. Dann droht ein Teufelskreis: Statt das Zeug abzusetzen, wird die Dosis erhöht.

Merkels „solange ich lebe“ war, bei aller Flapsigkeit, ein erstes Warnsignal in diese Richtung. Die Kanzlerin weiß genau, dass die Wirklichkeit komplizierter ist. So wie sie gestrickt ist, wird sie wahrscheinlich trotzdem der Versuchung widerstehen, beim nächsten Euro-Gipfel einen Operettensieg zu inszenieren. Wenn Angela Merkel damit anfangen müsste, weil anders die eigenen Truppen nicht mehr an der Flucht zu hindern wären – dann allerdings wäre ihr Ende in Sicht.

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