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Den Kompass verloren? Angela Merkel ist in der Krise.

© dpa

Merkel und die Krise: Keine Richtung, nirgendwo

Einst wurde Angela Merkel gefeiert als mächtigste Frau der Welt. Davon ist nichts mehr übrig geblieben. Jetzt muss sie sich von allen Seiten Vorgaben machen lassen. Ein Kommentar zur Kanzlerin.

Man kann den Vorgang auf dreierlei Weise lesen: aus der Innensicht, aus der Außensicht, also von der Sache her, oder eben – Variante drei – als Personengeschichte.

Von Deutschland aus betrachtet ist das Entstehen der Euro-Krise der klassische Fall von Prinzipienverrat durch die Nachbarn. Weil sie, von Frankreich über Italien und Spanien bis nach Griechenland, schlampig gewirtschaftet haben und mehr Geld ausgaben, als sie hatten, sitzen wir jetzt alle im Schlamassel. Raushelfen kann nur deutsche Disziplin.

Von draußen betrachtet, wird man in Paris, Rom, Madrid oder Athen nicht so richtig entschlossen bestreiten, dass den jeweiligen Regierungen die Ankurbelung der nationalen Wirtschaft etwas wichtiger war als die Stabilität des Euro. Aber mehr Sorgen macht allen zusammen, dass die Deutschen mit ihrem neuen Hang zur Sparsamkeit dabei sind, den weltweiten Aufschwung kaputt zu machen.

Die Personengeschichte geht so: Nach dem G-8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 war die Bundeskanzlerin als mächtigste Frau der Welt gefeiert worden. Als Staatenlenkerin, die dem Rest der industrialisierten Welt zwar nicht durchgehend erfolgreich, aber doch sehr überzeugend gezeigt hatte, wie es global weitergehen muss. Davon ist nichts mehr übrig geblieben. Der amerikanische Finanzminister Timothy Geithner nutzt einen Besuch bei seinem Kollegen Wolfgang Schäuble, um mitten in Berlin die Sparpolitik der Deutschen zu kritisieren, und fordert sie auf, stattdessen die Staatsausgaben hoch zu halten, um die Konjunktur zu beleben. Kaum denkbar, dass ein Vorgänger Geithners sich so etwas in der Ära Schröder oder Kohl herausgenommen hätte. Oder bei Merkel 2007.

Schon Wochen zuvor musste sich die deutsche Kanzlerin vom französischen Staatspräsidenten und dem italienischen Regierungschef Vorgaben machen lassen, wie der Euro-Krise zu begegnen sei. Das war zu einem Zeitpunkt, an dem sich in der Bundesregierung die Erkenntnis noch nicht durchgesetzt hatte, dass die Krise Griechenlands eine Krise Europas ist. Dunkel erinnert man sich, dass auch schon zu Beginn der Weltfinanzkrise im Sommer 2008 die damalige (schwarz-rote) deutsche Regierung geglaubt hatte, es handle sich um ein uns nicht berührendes, rein amerikanisches Phänomen.

Man muss keine Leitkommentare in der „New York Times“ lesen – obwohl das auch für Regierungsmitglieder manchmal Horizont erweiternd sein könnte –, um zu begreifen, dass die deutsche Sicht der Dinge als sehr rückwärtsgewandt empfunden wird. Die Bundesrepublik ist nach wie vor die wichtigste Wirtschaftsmacht des Kontinents. Dieses Land hat die politische und wirtschaftliche Einigung Europas seit Adenauer als existenziell definiert. Dazu gehörte und gehört, dass jede Bundesregierung ihre leitende (nicht führende!) Funktion im Konzert der europäischen Mächte wahrnehmen muss. Und heute?

Noch in Heiligendamm war Angela Merkel wie der magnetische Pol, an dem sich die Kompassnadeln anderer Mächte orientierten. Heute reagiert sie wie ein verwirrter Richtungsanzeiger, der seine Position nach den ihn beeinflussenden Kräften auspendelt. Es geht aber nicht darum, ob amerikanische Ratschläge richtig sind. Es geht um eine überwunden geglaubte, verhängnisvolle deutsche Neigung zum isolationistischen Handeln. Das weckt nicht nur das Misstrauen der Partner, sondern ist angesichts der weltweiten Vernetzung völlig chancenlos.

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