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Meinung: Mit Geschichte rechnen

Museen sollen Lagerbestände verkaufen, um sich zu finanzieren – aber Werte wandeln sich

Die Forderung nach dem „Verkauf des Tafelsilbers“ ertönt immer häufiger. In Berlin kennt man sie seit längerem; andere Städte tun es der überschuldeten Stadt gleich – inzwischen erfasst die Finanzkrise das gesamte deutsche Kommunalsystem.

In dieser sich zuspitzenden Situation erscheint die Idee, die deutschen Museen sollten Objekte aus ihren Beständen veräußern, um ihre Finanzlücken zu stopfen, durchaus nicht mehr absurd. Von der Rettung des eigenen Hauses zur Linderung der kommunalen Haushaltsnot indessen ist es nur ein Schritt. Die ganz überwiegende Mehrzahl der rund 6000 deutschen Museen befinden sich in kommunaler Trägerschaft; sie sind von den Städten und Gemeinden begründet worden, werden von ihnen unterhalten und haben an deren Misere gleichermaßen teil. Herausragende Museen werden als staatliche Einrichtungen von den Bundesländern unterhalten; nur die Staatlichen Museen Berlin sind als ehemals preußische Einrichtung ein Sonderfall überwiegend in Bundesfinanzierung.

Ist es jetzt nicht an der Zeit, mit dem über Jahrzehnte und oftmals Jahrhunderte angehäuften Tafelsilber zumindest den eigenen Fortbestand zu sichern? Lagert nicht ohnehin ein Großteil der Sammlungen im Depot, ohne dass ihn die Besucher je zu Gesicht bekämen?

Der Gedanke ist nicht ganz neu. In den Jahrzehnten der Prosperität war er nichts als eine Marotte übereifriger Haushälter. Mit der unaufhaltsamen Durchsetzung betriebswirtschaftlichen Denkens auch im öffentlichen Bereich gewinnt ihm nun auch die Politik einen gewissen Charme ab. So sollen in Hessen – scheinbar harmlos und dem Trend gemäß – die staatlichen Einrichtungen regelrechte Bilanzen erstellen und ihren Besitz bewerten. Die Museen sind aufgerufen, ihre Bestände zu erfassen – nicht nach Gattung und Stückzahl, sondern in Euro und Cent.

Von der Bewertung zur Veräußerung ist es nicht mehr weit. Was Berlin mit der Privatisierung, also dem Verkauf von Banken oder Wohnungsbaugesellschaften, mühsam erlernen muss, könnten Kommunen allerorten mit dem Verkauf von Museumsbeständen nachahmen. Geld käme in die Kassen, zunächst in die der Not leidenden und von ihren Trägern auf Notration gesetzten Museen, darüber hinaus aber vielleicht auch in die der Gemeinden und Bundesländer selbst.

Und was bliebe für kommende Generationen? Museen – schon im Wortsinn schwingt es mit – sind für die Ewigkeit eingerichtet. Was sie horten und hüten, ist das Erbe einer Vergangenheit, die künftigen Besuchern erhalten und fruchtbar gemacht werden soll. Was die materiellen Zeugnisse der Vergangenheit „wert“ sind, entzieht sich der monetären Bewertung. Ihren kulturellen Wert bestimmt jede Generation neu; er mag steigen oder sinken. Oft genug erleben zuvor vernachlässigte Objekte ungeahnte, neuerliche Wertschätzung. Die Forderung nach Veräußerung von Museumsgut, und mag es noch so lange im Depot geschlummert haben, verkennt diesen unablässigen Prozess der Geschichtsaneignung und Identitätsbildung, an dem die Gegenwart immer nur für den Augenblick teil haben kann.

Gewiss: Oft genug sind Museumsstücke zu teuer eingekauft worden. Oft genug haben sie sich andererseits als Wertanlage erwiesen. Doch das gilt immer nur aus der Sicht von heute. Morgen kann es anders sein, wie das hektische Auf und Ab des Kunstmarktes eindrucksvoll lehrt. Was heute als überflüssiger Besitz feilgeboten werden mag, kann morgen begehrtes Sammlungsstück sein – und umgekehrt. Die Aufgabe der Museen aber ist es, diese wechselnde Wertschätzung stets auf Neue zu ermöglichen. Die Museen sollen bewahren, nicht handeln. Und schon gar nicht taugen sie als „Tafelsilber“ in der Krise der Kommunen.

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