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Mon BERLIN: Auch in Frankreich sitzt immer ein Kommunist am Tisch

In Deutschland hat es eine winzige Partei in nur wenigen Wochen geschafft, eine riesige Volkspartei in die Knie zu zwingen. In Frankreich gibt es bereits ganze sechs Linksparteien und die Kommunisten waren dort schon oft an der Macht.

Kein Bündnis mit den Roten!“, schreien hysterische Stimmen im Radio. Die Kaffeemaschine spuckt die letzten Tropfen eines starken Espresso aus. So was! Eine historische Sendung über die heißesten Stunden der Weimarer Republik. Und schon finde ich mich im revolutionären Berlin der zwanziger Jahre wieder: Spartakistenaufstände, Verschwörungen an jeder Straßenecke, bolschewistische Spione aus Russland agitieren in verräucherten Kneipen, Barrikaden, Verfolgungsjagden in den Gassen des Alexanderplatzes. Und erst als Peer Steinbrück mit Grabesstimme droht: „Die Wahlen von 2009 sind schon jetzt verloren!“, falle ich mit einem Schlag in die Wirklichkeit von heute zurück.

In nur wenigen Wochen hat es eine klitzekleine Partei, ein seltsames Konglomerat von ostdeutschen Reformkommunisten und westdeutschen Überläufern aus der Sozialdemokratie, geschafft, eine riesige Volkspartei in die Knie zu zwingen und ganz Deutschland aus dem Gleichgewicht zu bringen. Frau Ypsilanti – immerhin hatte sie das Gegenteil versprochen! – droht den Pakt mit dem Teufel an. „Wortbruch!“, schreit in meinem Radio ein vor Empörung zuckender Gerechter. Wenn Sie meine Meinung wünschen: „Wortbruch“ hat gute Chancen, zum Wort des Jahres 2008 geweiht zu werden. „Was soll denn das heißen?“, hat mein Chefredakteur eben am Telefon gefragt. Großes Gelächter in Paris. „Aber das machen doch alle! Wenn man in Frankreich alle guillotinieren wollte, die unterwegs ihre Ansicht geändert haben …“ Die Kaffeemaschine stockt plötzlich. In Berlin scherzt man nicht mit dem gegebenen Wort. Eine ernste Stunde. Schon sehe ich die Deutschen vor mir, wie sie nach ihren mit Banknoten vollgestopften Koffern greifen und ihre Ersparnisse dem Schutz diskreter Stiftungen in Liechtenstein anvertrauen. Ich sehe „Rote“ mit schurkischem Blick vor mir, zwischen den Zähnen das Messer, wie sie unter die Betten der friedlichen Bürger unserer Stadt kriechen.

Genervt drehe ich am Radioknopf, Richtung Frankreich. Morgen, am Sonntag, findet die zweite Runde der Kommunalwahlen statt. Olivier Besancenot, Sprecher der Ligue Communiste Révolutionnaire, einer linksextremen Splittergruppe, redet in aller Gelassenheit von den benachteiligten und durch Nicolas Sarkozy unterdrückten Klassen. Der Präsident hat ihre Kaufkraft nicht erhöht! Besancenot, der von den Franzosen zärtlich oder abwertend „der kleine Briefträger“ genannt wird, weil er diesen schönen Beruf in Neuilly-sur-Seine ausübt, gehört zum politischen Casting. Er stört niemanden so richtig. Wenn er Trotzki und Rosa Luxemburg liebt, dann ist das seine Sache. Und wie retro ist das hübsche Vokabular, das die militanten Linksradikalen Frankreichs so lieben: „Genosse“, „Klassenkampf“ … dieser ganze Jargon aus einer anderen Zeit erfüllt uns mit Nostalgie. Diese Wörter duften nach dem Land des Émile Zola mit seinen heroischen Bergarbeitern und seinen redlichen Proletariern. Eine Welt vor der Globalisierung. In Frankreich gehört die extreme Linke zur Folklore. Die Kommunisten waren schon oft an der Macht: in den Kommunen, in den Regionen und in der Regierung von François Mitterrand. Der „Coco“, der Kommunist, ist ein gern gesehener Gast bei den Familienmessen. Weil er für Stimmung sorgt. Immer sitzt in Frankreich ein Coco mit am Tisch, dazu ein nostalgischer Pétain- Anhänger, ein militanter Antiklerikaler, eine bigotte alte Tante, die Hände auf den Knien gefaltet. Diese ganze Gesellschaft brüllt sich zwischen Käse und Mousse au Chocolat ordentlich an. Und umarmt sich beim Abschied.

„Unser Leben ist mehr wert als ihre Profite“, so der Slogan von Olivier Besancenot. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen fanden mehr als vier Prozent der Franzosen, er habe damit recht. Es gibt sechs Linksparteien. Nur seine ist dem völligen Debakel entgangen. Die Ligue Communiste Révolutionnaire steht auf der politischen Rangliste auf Platz 5. Man stelle sich einen deutschen Politiker vor, Autor eines Buches mit dem Titel „Revolution“. Man stelle sich einen Kanzlerkandidaten vor, der ein Loblied auf Che Guevara singt, „eine Glut, die noch immer brennt“. Politischer Selbstmord garantiert. Ehrenwort!

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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