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Meinung: Murat, der Harmlose?

In der Debatte um den „Bremer Taliban“ Kurnaz verrutschen die Maßstäbe

Nun wird bereits Schadensersatz für Murat Kurnaz gefordert, zu zahlen von Deutschland. Ein erstaunlicher Gang der Debatte. Dem Menschen Murat Kurnaz, der in Guantanamo litt, muss unser Mitgefühl gehören. Und sein Fall ist ein weiterer Grund, ein Ende der skandalösen US-Gefangenenpolitik zu fordern. Schadensersatz aus deutschem Steuergeld würde aber voraussetzen, dass der Türke, erstens, unschuldig war an seinem Schicksal, und dass, zweitens, deutsche Regierungsvertreter sein Leiden mitverursacht haben.

Soweit wir heute wissen, auch dank der Arbeit des Untersuchungsausschusses, trifft beides nicht zu. Kurnaz war zwar wohl kein gefährlicher Terrorist. Durch sein Verhalten 2001 hatte er aber allen Grund zu dem Verdacht gegeben. Er hatte sich islamischen Radikalen in Bremen angeschlossen und war nach Pakistan gereist, angeblich um eine Koranschule zu besuchen. Es war ein üblicher Weg für junge Muslime, die zu den Taliban oder in ein Al-Qaida-Lager wollten. Er zog los mit einem Freund, dessen Ziel Dschihad gegen den Westen war. Das rechtfertigt nicht, Kurnaz fünf Jahre nach Guantanamo zu stecken. Aber die verfolgte Unschuld war er ebenso wenig.

Auch der Beweis für ein gravierendes Fehlverhalten der Bundesregierung, das seine Haft verlängerte oder aus anderem Grund den Rücktritt von Frank-Walter Steinmeier erzwingt, damals Chef des Kanzleramts, heute Außenminister, liegt bisher nicht vor. Überhaupt muss man sich in die Jahre 2001/02 zurückversetzen, um das Regierungshandeln zu beurteilen. Es ist zu billig, es vom – damals nicht vorhandenen – Wissensstand 2007 moralisch zu verurteilen. Und es wäre gut, wenn sich die Öffentlichkeit vor Augen hielte, was sie zuallererst von ihrer Regierung erwarten darf und was diese einlösen muss: Gefahr von Deutschland abwenden, deutsche Bürger schützen, deutsche Interessen vertreten. Natürlich, wir wünschen uns einen Staat, der Solidarität mit Menschen ohne deutschen Pass zeigt, wenn ihnen Unrecht geschieht. Aber diese Tugend kann nicht Vorrang haben vor dem Schutz des eigenen Landes.

Deutschland hatte keine Fürsorgepflicht für Kurnaz, er ist türkischer Bürger, daran ändern auch seine Jahre in Bremen nichts. Die Türkei hätte sich um ihn kümmern müssen. Über ihre Rolle hört man Widersprüchliches, aber es läuft auf dasselbe hinaus: Wenn die Türkei ihn aufnehmen wollte, hat Berlin seine Freilassung gewiss nicht verhindert. Wenn Ankara ihn aber nicht haben wollte, warum sollte Deutschland ihn einreisen lassen? Er galt als potenzieller Terrorist. Kurz zuvor waren Flugzeuge ins World Trade Center geflogen. Unter den Drahtziehern waren Muslime, die in Deutschland lebten.

Weitere Argumente, die jetzt kursieren, wirken konstruiert. Artikel 1, Grundgesetz, der Würde und Grundrechte aller Menschen garantiert? Jeden Tag erleiden Millionen auf der Welt schweres Unrecht. Müsste Deutschland jeden aufnehmen – und andernfalls ein Minister zurücktreten –, käme die Regierung nicht mehr zum Regieren. Und Kurnaz holen, um sein Leid in Guantanamo zu beenden? Bei anderen Gefangenen wurde umgekehrt argumentiert: Bloß nicht, das helfe Bush, das System beizubehalten.

Die Bundesregierung muss entscheiden dürfen, welche Ausländer sie im Land haben will und welche nicht, weil sie ein Sicherheitsrisiko darstellen. Versäumte sie dies – das wäre eine Rücktrittsgrund. Die Hauptschuld an Kurnaz’ Schicksal tragen er selbst und die USA.

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