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Nach Baykals Aus: Nackte Tatsachen

Ein gefühltes halbes Jahrhundert hat Deniz Baykal als Chef der Opposition in der türkischen Politik mitgemischt. Jetzt ist er nach einer Sex-Affäre zurücktreten - und eröffnet der CHP damit die Chance für einen Neuanfang.

Ein gefühltes halbes Jahrhundert hat Deniz Baykal als Chef der Opposition in der türkischen Politik mitgemischt – meistens als selbst ernannter Beschützer der Republik vor den Angriffen der angeblichen Islamisten in der Regierung. Als Vorsitzender der Kemalisten-Partei CHP bestand Baykals Oppositionspolitik zuletzt vor allem darin, Gesetze gleich nach der Verabschiedung vor das Verfassungsgericht zu bringen, um sie annullieren zu lassen. Da eine Mehrheit der Verfassungsrichter ähnlich dachte wie er, funktionierte das auch meistens, und Baykal war zufrieden.

Jetzt ist Baykal zurückgetreten, weil er heimlich mit seiner Geliebten im Schlafzimmer gefilmt worden ist. Baykal sagt zwar, die Regierung stecke hinter dem Komplott, doch das ist unwahrscheinlich. Denn Baykal war der beste Oppositionschef, den sich eine Regierung wünschen konnte. Erdogan hatte seine Ruhe, weil sich der 71-jährige Baykal aufs Neinsagen beschränkte und mit Betonköpfen aus seiner eigenen Generation umgab – keine zukunftsweisende Formel in einem Land, in dem die Hälfte der Einwohner jünger als 29 Jahre ist.

Wenn die CHP jetzt den personellen Neuanfang und den Generationswechsel schafft, kann sie dem in den vergangenen Jahren sehr selbstzufrieden gewordenen Erdogan ein wenig Feuer unterm Hintern machen. Eine neuformierte Opposition, die Reformgesetze entwirft und versucht, die Regierung in Sachen EU-Reformen zu überholen, wäre für den Premier wesentlich unangenehmer als Baykals Rentnerband. Und spätestens nächstes Jahr wird gewählt.

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