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Harald Martenstein.

© dpa

Nach Norwegen-Anschlägen: "Mehr Freiheit" ist die richtige Reaktion

Wenn wir in der Debatte über die Folgen des Terrors in Norwegen anfangen, Meinungen für kriminell zu erklären statt Taten, dann hören wir auf, Demokraten zu sein. Das gilt auch für abstruse Meinungen.

Tatsächlich gibt es kaum eine Weltanschauung, die keine Verbrecher hervorbringt. Es passiert, sobald sie sich mit Fanatismus paart und sich in einem zur Gewalt neigenden Menschen einnistet. Christen sind zu Mördern geworden und haben sich dabei auf das Christentum berufen. Muslime sind zu Mördern geworden, im Namen von Glauben und Politik, das Gleiche kam bei Juden vor, bei Kommunisten und Anarchisten, Nationalisten, auch bei Anhängern von Psycho-Theorien, die auf Sigmund Freud zurückgehen.

In all diesen Fällen scheint mir weniger die jeweilige Weltanschauung die Wurzel des Problems zu sein. Im Normalfall werden weder ein strenggläubiger Muslim noch ein radikaler Christ noch ein Kommunist oder auch ein Anti-Islamist zum Mörder. Schuld ist etwas Individuelles. Nicht Völker, nicht Religionen oder Meinungen werden schuldig, sondern Menschen, die etwas tun. Zwischen Worten, Gedanken und Taten liegen zum Glück Abgründe. Viele haben manchmal Mordgedanken. Wenige tun es.

Natürlich gibt es Weltanschauungen, die aggressiver sind als andere und an denen sich diese Mischung aus Fanatismus, Narzissmus und Hass leichter entzündet, die für politische Mörder typisch ist. Aber wenn wir anfangen, Meinungen für kriminell zu erklären statt Taten, dann hören wir auf, Demokraten zu sein. Das gilt auch für abstruse Meinungen, etwa die, Europa werde demnächst von einer Verschwörung muslimischer Dunkelmänner beherrscht. Es ist verrückt, aber man wird deswegen nicht automatisch zum Verbrecher.

Der norwegische Ministerpräsident hat erklärt, die Antwort auf das Massaker in seinem Land dürfe nicht in einem Weniger an Freiheit bestehen, sondern es müsse ein Mehr an Freiheit sein. Das ist vielleicht das Besonnenste, was jemals ein Politiker in einer so extremen Situation gesagt hat. In Deutschland aber ist wieder die Gedankenpolizei unterwegs. In einer anderen Berliner Zeitung war zu lesen, dass der Autor Henryk M. Broder, ein polemischer Islamkritiker, geistig in der Nähe des Osloer Mörders stünde. Broder liefere den „Kick“, den solche Mörder brauchen. Er schreibe die „Eintrittskarte für den aggressiven Antiislamismus“, einige seiner Ideen glichen denen des Mörders. Vergleichbares wird über Thilo Sarrazin gesagt.

So ähnlich hat man das aus der Zeit des deutschen Terrorismus in Erinnerung. Damals hieß es, dass einige Ideen von Intellektuellen wie Heinrich Böll oder Hans Magnus Enzensberger einigen Ideen der RAF-Mörder ähnlich seien. Sachlich war das nicht einmal falsch. Gegen den Staat waren damals viele. Geschossen haben wenige. Und aus Staatsfeinden wurden Minister. Daran muss man erinnern. Sonst entsteht wieder ein Klima des Verdachts, der Unterstellung und der Einschüchterung.

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