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Meinung: Nationaler Ethikrat: Des Kanzlers neue Scheuklappen

So ganz einfach gestaltet sich die viel beschworene Wende in der Gentechnik offenbar doch nicht. Zwar wird sich der Bundeskanzler einen maßgeschneiderten Rat für bioethische Fragen zulegen.

So ganz einfach gestaltet sich die viel beschworene Wende in der Gentechnik offenbar doch nicht. Zwar wird sich der Bundeskanzler einen maßgeschneiderten Rat für bioethische Fragen zulegen. Doch dessen Zusammensetzung sieht nun anders aus als ursprünglich geplant: Das Gremium wird größer, weniger fachkompetent und weniger fortschrittseuphorisch. Offenbar sind in den letzten Wochen doch noch einige Parteien und Gruppen aufgewacht. Den Grünen fiel rechtzeitig ein, dass sie auch mitregieren und dass sie ja eigentlich die Gentechnik wichtig nehmen wollten. So lassen sich wohl die Namen Regine Kollek oder Jens Reich interpretieren.

Als des Kanzlers schnelle ethische Eingreiftruppe wird der Nationale Ethikrat jedenfalls nicht leicht funktionieren. Dazu sind zu viele Menschen mit begründeten Bedenken - der Kanzler würde sagen: ideologischen Scheuklappen - berufen worden. Eher könnte es passieren, dass der Rat überhaupt nicht recht funktioniert. Denn wie sollen der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske oder Unternehmerführer Hans Peter Stihl es zeitlich schaffen, sich fundiert mit schwierigsten ethischen Fragen und medizinischen Neuerungen zu beschäftigen?

Offenbar hat sich auf geheimnisvolle Weise der Konsensgedanke in seiner ganzen Breite durchgesetzt: Der Gewerkschafter, der Unternehmer, der Behindertenvertreter, die Biologin, die Soziologin, die Kirchen, die Mediziner, die Juristen und - recht zahlreich - die Sozialdemokraten. Fast muss man sich wundern, dass Schröder nicht noch Wolfgang Schäuble zum Ratsvorsitzenden berufen hat. Es hätte zu seiner Mitte-Politik gepasst, mit der er schon bei der Zuwanderung oder der Bundeswehrreform die Opposition in süßer Konsensmilch ertränkte.

Dennoch hat der Nationale Ethikrat durchaus eine Chance, mehr zu werden als ein weiteres Bündnis für Arbeit. Und damit: für Schröder. Denn das Thema Gentechnik lässt sich weder als reine Interessenpolitik betreiben, noch kann man es allein entlang der Parteigrenzen diskutieren. Welches Interesse auch sollte etwa ein Gewerkschaftsführer an der Prä-Implantationsdiagnostik haben? Da muss sich dann schon der Mensch Bsirske zu Wort melden. Außerdem sind genügend Mitglieder im Rat, die überhaupt kein Interesse haben, sondern nur Grundsätze, die sie mit der neuen technischen Entwicklung in Reibung bringen werden.

Rätselhaft bleibt vorerst, was der Rat des Kanzlers eigentlich tun soll, was die Enquete-Kommission des deutschen Bundestages nicht schon getan hat. In der Satzung des Rates ist festgehalten, dass auch ein Beitrag zu gesetzgeberischen Maßnahmen geleistet werden soll. Man muss bezweifeln, dass diese bunte Truppe aller Fakultäten dazu in der Lage sein wird. Also kann die wichtigste Funktion nur darin bestehen, die öffentliche Debatte zu strukturieren und zu verbreitern. Dazu müsste dann aber die volle Rede- und Publikationsfreiheit auch außerhalb der Ratssitzungen gewährleistet sein. Darüber steht in der Satzung freilich nichts. Aber vielleicht ist das weniger eine Frage von Satzungen als von Courage.

In der Anfangsphase der Schröderschen Kanzlerschaft wurde oft kritisiert, er sei zwar ein guter Pragmatiker, aber er habe keine Moral. Nun, er hat sich mit einem Schlag eine Menge Moral ins Haus geholt. Mal sehen ob er sich auch beraten lässt.

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