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Syrien und die Chemiewaffen: Nie wieder Barbarei!

Es kann nur eine politische Lösung geben: Gilt diese Westerwelle-Weisheit eigentlich immer? Auch nach zwei Jahren Bürgerkrieg, knapp 100 000 Toten, Millionen Flüchtlingen – und Menschen, die an Giftgasen ersticken, weil der Gegner keine Skrupel hat, jeden Restzweifel an seiner Skrupellosigkeit auszuräumen?

Es kann nur eine politische Lösung geben. In diesem Satz erschöpft sich seit acht Jahren die deutsche Außenpolitik. Wenn es je ein Vermächtnis von Guido Westerwelle geben sollte, dann sind es Variationen dieses mageren Mantras. Da sehnt man sich zurück nach jener Offenheit, mit der die Grünen einst über Kosovo und Afghanistan stritten. Der Farbbeutel am Ohr von Joschka Fischer steht symbolhaft auch für eine humanitäre Leidenschaft, die daran verzweifelt, dass ihr Massenmord, Flüchtlingselend und ethnische Säuberungen nicht egal sind. Die Erkenntnis, dass in Konflikte einzugreifen eine Pflicht sein kann, hat es schwer in einem Land, dessen Bevölkerung aus ihrer Vergangenheit primär die Lektion „Nie wieder Krieg!“ gelernt hat, statt mindestens gleichberechtigt „Nie wieder Barbarei!“ zu geloben.

Geheimdienste aus Frankreich, Großbritannien, Israel und Amerika plus unabhängige Journalisten, die in Syrien recherchiert haben, sind zu dem Ergebnis gelangt: Die Schergen von Baschar al Assad haben Chemiewaffen eingesetzt. Im Unterschied zu 2003, als Amerika nach einem Vorwand suchte, um gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein vorgehen zu können, wird der Einsatz von Massenvernichtungswaffen heute eher zögerlich, fast widerwillig festgestellt. Barack Obama scheut Interventionen aller Art, Israel hat Angst vor einem Zerfall Syriens, Briten und Franzosen wissen, dass die Rebellen mitnichten nur freiheitsliebende Idealisten sind. Der Vorwurf der Kriegstreiberei läuft ins Leere.

Es kann nur eine politische Lösung geben. Gilt die Westerwelle-Weisheit eigentlich immer? Auch nach zwei Jahren Bürgerkrieg, knapp 100 000 Toten, Millionen Flüchtlingen – und Menschen, die an Giftgasen ersticken, weil der Gegner keine Skrupel hat, jeden Restzweifel an seiner Skrupellosigkeit auszuräumen? Gilt der Satz auch, wenn es keine Aussicht auf eine politische Lösung mehr gibt, weil die vagen Hoffnungen auf eine Friedenskonferenz schon wieder geschwunden sind? Gilt der Satz, wenn mächtige Verbündete – Russland, Iran, Hisbollah – dem Despoten von Damaskus willfährig unter die Arme greifen mit dem Ziel, die Opposition nicht nur mund-, sondern mausetot zu machen?

Wer sich einmischt, übernimmt Verantwortung, macht sich womöglich gar schuldig. Bequemer ist es, Massaker Massaker sein zu lassen, zumal sich die Gültigkeit der Devise „Frieden schaffen mit noch mehr Waffen“ ja durchaus bestreiten lässt. Rüsten Amerika, Großbritannien und Frankreich jetzt womöglich radikale Islamisten auf? Ausschließen lässt sich das nicht. Doch manchmal muss mit kleineren Teufeln paktiert werden, um größere besiegen zu können. Mit Hilfe der Mudschaheddin wurden die Sowjets aus Afghanistan vertrieben, am Ende zerfiel der Kommunismus. Im Pakt mit Stalin triumphierten die West-Alliierten über Hitler, ideologischer Purismus hätte die antifaschistische Front geschwächt.

Obama ist ein Meister großer, nicht aber unmissverständlicher Worte. Zu seinen wenigen klaren Warnungen gehört die vor der „roten Linie“, die mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen überschritten werde. Wenn solche Warnungen verhallen, weil Amerika Verstöße dagegen nicht ahndet, verliert der gesamte Westen an gestalterischer Potenz. Das verfolgen vor allem die Mullahs in Teheran sehr genau.

Es kann nur eine politische Lösung geben. Wer das propagiert, fordert das Ausblutenlassen des Konflikts. Er sehnt sich nach Ruhe, nach Friedhofsruhe.

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