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Meinung: Nur kein Neid

Der Osten hat viel Hilfe bekommen. Und steht nun unter Begründungszwang

Von Antje Sirleschtov

Schade, dass es in diesem Herbst zwischen Elbe und Oder so diesig ist. Wäre das Wetter freundlicher, gäbe es mehr Gelegenheit zu Einblicken. Und manchen Lichtblicken. Auch von denen erzählten der Fortschrittsbericht vom Montag und die Privatisierungsbilanz der Treuhand vom Mittwoch.

Vielleicht täte eine weitere Kanzlerreise durch die neuen Länder gut. Nicht, weil den neuen Bundesländern ein besonders eisiger Reform-Winter bevorsteht. Sondern damit Gerhard Schröder sich wappnet für den nächsten Verteilungskampf, der nach der zurückliegenden Sommerschlacht um die Generationengerechtigkeit unweigerlich auf ihn zukommen wird. Gefochten wird dabei um Milliardenbeträge für Bund und Bundesländer. In Zeiten wie diesen kann das nur zu leicht ausarten zu einem neidischen Gezänk zwischen Ost und West.

Worum es geht, war bereits zu besichtigen. Etwa, als sich der niedersächsische CDU-Regierungschef Christian Wulff darüber beschwerte, dass die Bundesregierung den westdeutschen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit keine Fördermittel zubilligen wolle. Oder in der parteiübergreifenden Drohung der ostdeutschen Ministerpräsidenten, die Hartz-Gesetze der Regierung zu blockieren, wenn der Osten nicht entschädigt werde.

Alles nur Vorgeplänkel. Ruhig und sachlich vorgetragen und ebenso verstanden. Dem Osten die finanzielle Luft abdrehen? Nein, solch eine nationale Missetat will kein Politiker 13 Jahre nach der Einigung verantworten.

Noch. Aber der Ton wird schärfer werden. Spätestens, wenn es zum Krach kommt im Vermittlungsausschuss, um Geld und um Zumutungen, dann werden die Tabus fallen. Und warum auch nicht? Welchen Grund könnte es geben, von Regionen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein mit 12 Prozent Arbeitslosigkeit die Kraft zum Abspecken zu verlangen und solche in Sachsen und Thüringen davon auszunehmen? Weil dort die durchschnittliche Arbeitslosigkeit höher ist? Den Sozialhilfeempfängern in Bremen wäre das wohl kaum zu erklären. Oder weil die Steinkohle ja auch über Jahrzehnte subventioniert wird? Ausgerechnet das zum Argument zu machen, hieße den Unsinn dauerhafter Alimentierung zu rechtfertigen und bedeutete das Ende jeder Debatte um einen sinnvollen Umbau des gesamten Landes.

Einer, der die unterschwellige Neiddebatte zwischen Ost und West seit längerem spürt, ist des Kanzlers Minister für den Aufbau Ost, Manfred Stolpe. Darum wissend, dass seine einstige Transformationsregion Ost angesichts von nicht sinken wollenden Überweisungen von jährlich rund 80 Milliarden Euro längst zur Transferregion geworden ist, fordert Stolpe schon lange nicht mehr lautstark die Solidarität des Westens ein. Nach Bedarf, sagt Stolpe, soll der Staat fördern, nicht nach Himmelsrichtung.

Wenn es denn wahr ist, dass die finanzielle Not der öffentlichen Kassen unweigerlich auch den Blick für einen effizienteren Einsatz von Finanzmitteln schärft, dann wird eine solche Kur auch den Ostdeutschen gut tun. Vielleicht nicht unbedingt denen, die im öffentlichen Dienst schon jetzt beinahe das westdeutsche Ausstattungs- und Lohnniveau erreicht haben. Und auch nicht denen, die sich Fabriken mit Staatshilfe fast ohne unternehmerisches Risiko finanzieren lassen wollen. Wohl aber denen, die den Aufbau Ost mit ihren Steuern finanzieren. Und die gibt es im Westen wie im Osten.

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