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Obamas Wahlschlappe: Nicht die Zeit der Reformen

Dieser Schlag wird noch lange nachhallen. Wenn Obamas Demokraten im Land der Kennedys verlieren, wo ist dann überhaupt noch sicheres Terrain? Die Wahlschlappe zum Jahrestag der Vereidigung wird zum Wendepunkt der jungen Präsidentschaft.

Wohin die Wende weisen soll, ist in der allgemeinen Verunsicherung freilich ungewiss. Und hart umstritten in den eigenen Reihen. Der linke Flügel möchte einfach weitermachen nach Plan. Das kann Obama nicht. Die Versuchung ist zwar groß. Er hat schließlich nur einen Senatssitz eingebüßt. Seine Demokraten haben weiter eine komfortable Mehrheit im Kongress. Mit der kann er regieren. Das muss er auch, um wieder zum Herrn über die Ereignisse zu werden, aber auf eine Weise, die den Protestwählern signalisiert, dass er ihre Bedenken hört und ernst nimmt.

Obama hatte damit gerechnet, dass seine Mehrheit 2010 schrumpft – doch nicht jetzt, sondern bei der Kongresswahl im Herbst. Die verliert ein neuer Präsident nach aller Erfahrung. Der Plan war, zuvor die Gesundheitsreform zu verabschieden und auf eine Besserung am Arbeitsmarkt zu hoffen, die den Erfolg seiner Wirtschaftspolitik belegt, um mit dieser Bilanz die Verluste in Grenzen zu halten. Nun ist die strategische Mehrheit perdu, bevor Obama sie für große Ziele nutzen konnte. Soll er die Gesundheitsreform unbeirrt durchpauken? Das ginge, wenn er die Demokraten im Abgeordnetenhaus dazu bringt, die Version zu übernehmen, die der Senat bereits verabschiedet hat. Dann muss der Senat nicht erneut abstimmen. Viele würden ihm das als Arroganz auslegen: ein Präsident, der das Votum der Bürger ignoriert. Die Wahl war schließlich auch ein Protest gegen die Gesundheitsreform. Soll er deren Umfang reduzieren, um Republikaner auf seine Seite zu ziehen? Oder sie ganz aufgeben und sich auf das Thema konzentrieren, das die Amerikaner am meisten bewegt: Wirtschaft und Jobs? So hat es Bill Clinton gehalten, nachdem seine Gesundheitsreform 1994 gescheitert war. Er schloss Kompromisse mit den Republikanern und wurde 1996 wiedergewählt.

Fürs Erste ist entscheidend, welche Lesart sich durchsetzt: regionaler Betriebsunfall oder nationaler Alarmruf? Die Demokratin Martha Croakley erwies sich als schwache Kandidatin und machte Fehler. Doch es war auch eine persönliche Niederlage Obamas. Als sich der Überraschungserfolg der Republikaner vor wenigen Tagen ankündigte, flog er nach Massachusetts, um die Demokraten zu retten. Sein Einfluss reicht nicht mehr aus, wie schon bei den Gouverneurswahlen in Virginia und New Jersey im November. Bei der Präsidentenwahl 2008 hatte er 62 Prozent in Massachusetts geholt. Damals war er der Kandidat, der gegen das Establishment antrat und Washington aufmischen sollte. Jetzt siegte der Republikaner Brown in dieser Rolle – Obama verkörpert heute das Establishment.

Massachusetts kann sich vielerorts in den USA wiederholen, sofern es Obama nicht gelingt, die Bürger zurückzugewinnen, die ihm 2008 zur Mehrheit verholfen haben und nun enttäuscht von ihm sind. Wechselwähler, denen die Staatsverschuldung Angst macht und die fürchten, dass die Gesundheitsreform für sie persönlich höhere Kosten und schlechtere Leistung bedeutet. Sie wollen keine großen Gesellschaftsreformen, sie wollen nicht mehr Staat. Projekte, die demokratischen Stammwählern dienen, empfinden sie als suspekt. Guantanamo und Afghanistan sind für sie drittrangig. Der Präsident soll sich um ihren Alltag kümmern. Ohne sie hat er keine Mehrheit.

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