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Osama bin Laden, der Chef des Terrornetzes Al Qaida ist von US-Soldaten in Pakistan erschossen worden.

© AFP

Osama bin Laden: Ende einer Mission

Bin Ladens Tod markiert eine Zäsur. Die Terrorgefahr ist mitnichten gebannt, überdies lässt sich über die Legalität außergerichtlicher Tötungen philosophieren. Doch mit dem Oberterroristen stirbt auch der in Tora-Bora-Tagen erworbene Mythos der Unverwundbarkeit.

Osama bin Laden rief den Heiligen Krieg nicht etwa aus, weil er den Westen fürchtete, sondern weil er ihn für feige, verwöhnt und dekadent hielt. Im Jahre 1998 bündelte er seine Verachtung in einem legendären Satz: „Der Westen ist bereit, kalte Kriege zu führen, aber unvorbereitet, heiße Kriege zu führen.“ Das hatte ihn die Erfahrung aus den Jahren zuvor gelehrt: der Sturz des Schahs 1979 im Iran mit anschließender Machtübernahme der Mullahs, die Vertreibung der USA aus dem Libanon 1983, der schmähliche Rückzug 1993 aus Somalia. Nun wähnte er sich auf einer historischen Mission – diesem erbärmlichen Gebilde den Todesstoß zu versetzen. Der Wahn gipfelte in den Anschlägen vom 11. September 2001. Greift der Schwache zur Gewalt, ist es oft Ausdruck seiner Verzweiflung. Wendet sich der Fanatiker dem Terror zu, ist es Ausdruck seiner Arroganz.

Knapp zehn Jahre später sieht die Wirklichkeit radikal anders aus. Der Westen hat zwei heiße Kriege geführt – Afghanistan und Irak –, er hat durchgehalten, Opfer gebracht, Nervenkraft bewiesen. Die Taliban wurden verjagt, Saddam Hussein und dessen Schergen gestürzt. In beiden Ländern gab es freie Wahlen, die ersten dort überhaupt. Und schließlich haben sich die arabischen Massen zwar tatsächlich vereint, aber nicht im Kampf gegen Demokratie und Menschenrechte, sondern in deren Namen. Sie wollen Despoten stürzen, keine grenzenlose radikalislamische Region errichten. Als Alternative zur Autokratie eifern sie ausgerechnet jenem Modell nach, das die Symbolfigur des internationalen Terrorismus als das Böse schlechthin gebrandmarkt hatte. Eindrucksvoller hätte Osama bin Ladens Wahn kaum widerlegt werden können.

Insofern markiert sein Tod durchaus eine Zäsur. Die Terrorgefahr ist mitnichten gebannt, sie mag sich sogar nur unwesentlich verringert haben, überdies lässt sich lange über die Legalität außergerichtlicher Tötungen philosophieren. Doch unbestreitbar symbolisiert der getötete Oberterrorist die innere Verwundbarkeit der von ihm verkörperten Ideologie. Mit ihm stirbt auch der in den Tora-Bora-Tagen erworbene Mythos der Unverwundbarkeit. Daran wird selbst die Glorifizierung des Märtyrertodes nichts ändern. Ein teleologisch entleerter Fanatismus läuft langsam leer. Ein geschlagener Märtyrer glänzt allenfalls matt.

Natürlich sind im Kampf gegen den international operierenden Terrorismus Fehler gemacht worden. Irakkriegsbegründung, Guantanamo, Abu Ghraib. In offenen Gesellschaften, auch das haben viele Muslime so erstaunt wie bewundernd zur Kenntnis genommen, wird über solche Fehler gestritten. Wertegebundene Politik lebt von der steten Rückkopplung und Selbstvergewisserung. Ihr Kennzeichen ist nicht Fehlerfreiheit, sondern Korrekturfähigkeit.

Das gelang zwar nicht in jedem Fall, aber insgesamt darf der Westen stolz auf sich sein. Er hat nach 9/11 die Balance gehalten zwischen Überreaktion und Ignoranz. Er hat trotz tiefer interner Differenzen zusammengehalten. Er hat in den Bereichen Aufklärung (Abhörtechnologie, Informationsbeschaffung) und digitale Kriegführung (Stuxnet-Virus, Drohnenentwicklung) große Fortschritte gemacht. Jetzt tut er gut daran, sich durch den Erfolg nicht selbst zu blenden. Denn sein größter Feind bleibt der ihm eigene Hang zur Routinisierung der Gefahrenabwehr. Osama bin Laden ist tot. Doch von Teheran über die Hisbollah bis zur Hamas: Besiegt ist der militante Islamismus noch längst nicht.

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