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Sterbehilfe als Vereinszweck. Unionspolitiker und Ärztekammer wollen das verbieten.

© dpa

Palliativmedizin: Wie umgehen mit denen, die selbstbestimmt sterben wollen?

Staat und Medizin können nicht immer Fürsorge leisten. Was ist, wenn ein Mensch selbstbestimmt sterben möchte? Eine organisierte und kommerzielle Sterbehilfe allein kann keine Lösung sein.

Vor wenigen Wochen sind in Deutschland Leichen von Babys, vergraben im Garten, versteckt im Keller oder sonst wie entsorgt, gefunden worden. Die Mütter waren wie meistens in diesen Fällen mit der Betreuung ihrer Kinder überfordert. In der vergangenen Woche ist ein deutscher Patient in die Schweiz gefahren, um sich mithilfe einer Sterbehilfeorganisation den Tod selbstbestimmt beibringen zu lassen. Auch dieser Fall beleuchtet vermutlich nur die Spitze des Eisbergs.

Was haben beide Phänomene miteinander zu tun? Unser Wohlfahrtsstaat bietet viele Möglichkeiten, um verzweifelten Müttern, Patienten oder Lebensmüden ganz konkret unter die Arme zu greifen. Im ersten Fall hätte das ungewünschte Baby über eine Babyklappe abgegeben werden können. Im anderen Fall hätte man durch eine mittlerweile in Deutschland flächendeckende stationäre oder ambulante palliativmedizinische Versorgung denjenigen helfen können, ein würdiges Ende zu finden, ohne dass sie sich freiwillig und mit Unterstützung durch andere unmittelbar in den Tod schicken lassen. Es zeigen sich hier die Grenzen staatlicher (und medizinischer) Fürsorge und Versorgungsangebote.

Offenbar gibt es Menschen, die von Sozialämtern, Babyklappen und anderen Unterstützungsangeboten nichts wissen wollen. Kann man diese Menschen erreichen? Gibt es andere Möglichkeiten als die existierenden, um Mitbürger mit den staatlichen Versorgungsangeboten vertraut zu machen und sie von ihrem Sinn zu überzeugen? Oder gibt es etwa noch andere Gründe, die erklären könnten, dass Menschen so handeln? Im einen Fall handelt es sich also um konkrete primärpräventive Maßnahmen, damit Straftaten vermieden werden (eine Mutter darf ihr Kind nicht töten), im anderen Fall, am Lebensende oder bei Lebensunlust, darum, palliativmedizinische und psychologische Versorgungsangebote und ihre Möglichkeiten noch besser bekannt zu machen. Doch auch vor diesem Hintergrund bleibt ein Raum übrig, der durch nichts zu durchdringen ist.

Für kommerzielle Sterbehilfe kann es keinen Raum geben

Es ist die selbstbewusste und selbstbestimmte Entscheidung eines Menschen, auch gegen den Rat des anderen und gegen die geläufige sittliche Grundeinstellung in einer bestimmten Zeit und Kultur und erst recht gegen die gängige Rechtsprechung, eine Entscheidung zu treffen – Hilfsangebote nicht anzunehmen und sein Kind oder sich zu töten oder töten zu lassen. Kann man nun also durch eine veränderte Rechtsprechung, also beispielsweise die Legalisierung kommerzieller Sterbehilfeorganisationen in Deutschland, der Problematik gerecht werden? Ich meine, nein. Wenn, wie der ehemalige Bundesärztekammerpräsident Dietrich Hoppe weise formuliert hat, „die Beihilfe zum Suizid nicht zu den ärztlichen Aufgaben gehört“, aber sie möglich sein soll, wenn der Arzt das mit seinem Gewissen vereinbaren kann, dann darf das mit kommerziellen Interessen zunächst mal nichts zu tun haben.

Es geht also um das Gewissen und damit eine höchst individuelle Entscheidung. Ihre Grundlage muss ein gewachsenes und wechselseitiges Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sein. Wenn dann und trotz eingehendem Dialog mit einem aussichtslos kranken Menschen und einer Aufklärung über alle palliativmedizinischen Optionen sich sein Wunsch nach selbstbestimmter Lebensbeendung als nachvollziehbar und plausibel darstellt, wäre nämlich für organisierte oder gar kommerzialisierte Sterbehilfe unter keinen Umständen Raum.

Man muss also dem Dilemma zwischen Wunsch und Wirklichkeit direkt ins Auge blicken. Einerseits gibt es den Wunsch und unter Umständen auch die nachvollziehbare Gewissensentscheidung, selbstbestimmt seinem Leben ein Ende zu setzen, obwohl dies eigentlich aufgrund der zur Verfügung stehenden Versorgungsangebote nicht sein müsste. Andererseits die durch den gegenwärtigen Ärztekammerpräsidenten kategorisch abgelehnte Überlegung, Möglichkeiten zu offenbaren, wenn die Menschen etwas anderes wünschen. Somit bleibt es bis auf Weiteres bei einem unauflöslichen ethischen Konflikt, mit dem man in unserer Gesellschaft offensichtlich zurechtkommen muss.

Der Autor ist Arzt und lehrt Palliativmedizin.

Andreas S. Lübbe

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