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Meinung: Phönix aus den Trümmern

Die Krise stärkt Erdogan, wenn er die islamistischen Terroristen entschlossen bekämpft

Kaum ein Jahr im Amt und unter ständiger Beobachtung der misstrauischen Armee, muss der gemäßigt-islamische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan nun auf die schlimmsten Terroranschläge reagieren, die die Türkei je erlebt hat. Der fromme Moslem hat dabei nicht nur gegen die Terroristen zu kämpfen, sondern auch gegen den Verdacht, dass er und seine Regierungspartei AKP einen Frontalangriff auf die Radikalen scheuen, weil es um religiös begründeten islamistischen Terror geht.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten zeigt Erdogan inzwischen, dass er in der Lage ist, diesen Verdacht zu zerstreuen. Er könnte sogar gestärkt aus der Terror-Krise hervorgehen. Nach den Bombenanschlägen auf die Istanbuler Synagogen am vergangenen Wochenende klangen die ersten Äußerungen des Ministerpräsidenten zunächst merkwürdig dünn. Terror sei zu verdammen, sagte er nur. Selbst Anhängern der Regierung war das zu wenig. Sie forderten von Erdogan, sich deutlicher vom militanten Fundamentalismus zu distanzieren. Das tat der dann auch, und zwar in einer Rede vor der AKP-Parlamentsfraktion, die sogar seinen Kritikern Respekt abnötigte. „Wir akzeptieren kein Ideal und kein Ziel, das sich gegen Menschenleben richtet und den Terror legitimiert", lautete ein Schlüsselsatz.

Die Opposition in Ankara und die regierungskritische Presse werfen Erdogan dennoch vor, er unternehme nicht genug gegen den Fundamentalismus. Durch ein kürzlich erlassenes Amnestiegesetz, das auf reuige Kämpfer der kurdischen PKK zielte, seien auch militante Islamisten aus den Gefängnissen entlassen worden. Die Opposition muss allerdings vorsichtig sein. Angesichts der Stimmung in der Bevölkerung, die Einigkeit im Kampf gegen den Terror verlangt, riskieren Erdogans Gegner, in der Stunde der Not als kleinliche Ränkeschmiede dazustehen.

Auch im schwierigen Verhältnis zur Armee und zu den anderen Sicherheitskräften bietet die Krise Chancen für Erdogan und seine Regierung. So könnten die Berichte über Mängel im Sicherheitsapparat die Gelegenheit liefern, unliebsame Beamte von ihren Posten zu entfernen. Langfristig wesentlich wichtiger ist aber ein anderer Aspekt: Erdogan hat es in der Hand, zu beweisen, dass in der Türkei auch eine zivile Regierung mit einer Bedrohung für den Staat fertig wird. Bisher war das traditionell der Moment, an dem das türkische Militär auf den Plan trat. Wie 1980, als die Soldaten putschten, um einen Bürgerkrieg zu beenden, den die Politiker nicht unter Kontrolle bekamen.

Auch außenpolitisch könnten die Anschläge der Türkei und Erdogan am Ende helfen. Die Reaktionen der westlichen Welt nach den Gewalttaten zeigen, wie wichtig die Türkei ihr ist. Hinzu kommt der Solidarisierungseffekt: Wer wollte einem türkischen Politiker in diesen Tagen ins Gesicht sagen, dass sein Land nichts in der EU zu suchen hat? Voraussetzung dafür, dass die Türkei diese Chancen nutzen kann, sind allerdings Erfolge bei der Fahndung nach den Drahtziehern der Anschläge und die Verhinderung einer neuen Welle von Attentaten. Wenn der Eindruck entsteht, dass Erdogans Regierung amateurhaft im Nebel herumstochert, statt entschlossen die Initiative zu ergreifen, wird sie in Schwierigkeiten geraten. Es gibt in der Türkei genug Leute, die nur darauf warten.

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