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Politik ein Jahr nach Lehman: Die große Kollusion

Es geht weiter, als wäre nichts gewesen: Doch so dumm ist das politische Publikum nicht

Und nun erheben sie alle wieder ihr Haupt, die, denen von der wahren Wirklichkeit draufgeschlagen worden ist, die Besser- oder besser: Schlechterwisser unter den Bankern, Ökonomen, in der Politik, überhaupt, in den gesellschaftlich treibenden Kräften. Was sie treiben und wohin – einerlei, Hauptsache, sie haben das Sagen.

Ein Jahr ist die Lehman-Pleite her, und alle machen weiter wie vorher? Da wird wieder gefordert, die Steuern zu senken, und wie. Da wird schon wieder gefordert, den Banken Freiheit zu schenken, und wie. So, dass es den der Demokratie Zugeneigten, den um Beteiligung des Einzelnen Fürchtenden bange werden kann. Demut ist nicht das Synonym für einen Mangel an Mut. Es ist vielmehr die Warnung vor Selbstüberhebung. Hybris heißt das im Griechischen, und in griechischen Tragödien ist die der Auslöser für den Fall vieler Hauptfiguren. Das war für ein breites Publikum, und das war nicht dumm.

Kein Innehalten mehr, kein Moment des Sich-Vergewisserns, alles schon bearbeitet, verarbeitet? Nein, das kann nicht sein. Noch ist nicht alles ausgetauscht an Argumenten, im Wortsinn, noch sind diejenigen, die geirrt haben, längst nicht so weit, das zuzugeben. Und wäre es das alte Hellas, dann kämen die Leute in der Agora zusammen, der Versammlungsstätte der Stadt, der Polis, und erwarteten Erklärungen, die länger dauern könnten als nur einen Tag.

Und es gäbe noch einiges zu erklären, zu klären auch. Wo die einen Steuern senken wollen, wollen die anderen eine Börsenumsatzsteuer einführen, eine, die der Tobin-Steuer angenähert ist. Das soll auch von der Kanzlerin nicht mehr abgelehnt werden; fordert der Finanzminister einerseits, und verlautet aus ihr bekannten Kreisen andererseits. Wenn das so ist: Woher der Sinneswandel, hin zu Chirac, Schröder, Schüssel, Lafontaine, die das schon länger wollten? Wie ordnet er sich ein in eine Vorstellung von der Welt von morgen? Haben wir keinen Anspruch, das zu erfahren von denen, die uns regieren wollen? Rechtzeitig?

Die Tugendtafel des Aristoteles kennt die Wahrhaftigkeit. Sie fordert: Du musst nicht alles sagen, aber alles, was du sagst, muss wahr sein. Das ist, gestern wie heute, eine hoch politische Anforderung. Lasst uns ins der Agora treffen. Oder es trifft euch der gerechte Zorn: der Stimmenthaltung. Der ungültigen Stimmen.

Das Publikum ist nämlich gar nicht dumm.

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