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Meinung: Putsch gegen das Militär

Die Türkei entmachtet die Armee – erstmal auf dem Papier

Das türkische Parlament will die politische Macht der Militärs einschränken. Gegen den erklärten Willen der Armeeführung haben die Abgeordneten eine Reform des Nationalen Sicherheitsrates beschlossen. Dass diese Parlamentsentscheidung den Abgeordneten Mut abverlangte, spricht Bände über die bisherigen Machtverhältnisse in Ankara und über den langen Weg, den die Türkei noch nach Europa zurückzulegen hat.

Das türkische Militär bildet einen Staat im Staate; seine Vertreter betrachten sich selbst als über der Politik stehende Wächter. Weil alle immer unterschwellig die Drohung eines neuen Militärputsches vor Augen haben, werden viele Probleme in der Öffentlichkeit nicht so angesprochen, wie das in einer Demokratie nötig wäre – von den Militärausgaben, die bisher tabu waren und erst jetzt einer diskreten Überprüfung durch den Rechnungshof unterworfen werden, bis zu den Nebenhaushalten der Armee durch ihre Beteiligung an Unternehmen. Eine Kontrolle der Generäle durch die Politik war bis vorgestern in der Türkei kein Thema. Was ein Hindernis für den EU-Beitritt darstellt.

Schon diese Zustände und Umstände machen den Parlamentsbeschluss zur Reform des Nationalen Sicherheitsrates bemerkenswert. Doch mehr noch: Die Entscheidung fiel unter einer Regierung, die aus dem islamischen Lager kommt und deshalb bei der Armee, aber auch bei anderen Teilen der Elite im Verdacht steht, es gehe ihr nicht um Demokratie und Europa, sondern um die Vorbereitung eines Gottesstaates.

Trotzdem bleiben die Truppen und die Panzer in den Kasernen: Die Armee lässt die Reform über sich ergehen, obwohl sie erhebliche Vorbehalte nicht nur gegen deren Inhalt, sondern auch gegen deren Autoren hat. Das ist ein gewaltiger Fortschritt in einem Land, in dem das Militär seit 1960 drei Mal geputscht hat. Die Generäle werden nicht über Nacht unbedeutend. Aber sie werden auch nicht mehr diktieren können, was geschieht.

Doch mit dem Parlamentsbeschluss ist es noch nicht getan. Die Politiker müssen nun beweisen, dass sie ihre neue Führungsposition auf dem Papier auch im Alltag verteidigen können. Spannend ist die Probe aufs Exempel weniger in der Außenpolitik; dort ziehen Regierung und Generäle meist am selben Strang. Sondern bei Themen wie dem Kopftuchverbot in öffentlichen Institutionen. Das wird auch interessante Fragen für die Europäer aufwerfen. Sie haben die türkische Armee bei aller Kritik an der undemokratischen Machtstellung der Generäle lange als laizistisches Bollwerk gegen den islamischen Fundamentalismus betrachtet.

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