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Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.

© Kai-Uwe Heinrich

Rechtskolumne: Steuern und Moral

Steuerdelikte sind eine Form der Kriminalität. Doch die außergewöhnliche Privilegierung der Steuerkriminellen macht Sinn - und sie eignet sich nicht als Wahlkampfthema.

In der Politik bestimmt der Begriff den Ton, der die Musik bestimmt, und die Opposition hat ihn gefunden. „Oberschichtenkriminalität“ nennt sie die Steuerhinterziehung, analog zu Harald Schmidt, der für die Privatsender die Bezeichnung „Unterschichtenfernsehen“ erfand. Das Denken in Schwarz-Weiß gilt als unfein, die Unterscheidung zwischen oben und unten funktioniert dafür besser denn je; der „Steuersünder“ wird sprachlich schrittweise abgeschafft. Asozial nennt der Bundespräsident diese Klientel, eine Vokabel, die ausgrenzen soll: hier die gute Gemeinschaft, dort ihre Schädlinge.

Als Deutschland vor einigen Jahren im Reformstau steckte, ging es gegen „Schmarotzer“ im Sozialhilfenetz, jetzt, wo das Land politisch und wirtschaftlich breitbeinig einem vereinten Europa vorsteht, geht es gegen die Habenden. Der Fall Hoeneß bildet die Spitze der Konjunktur. Es spricht nichts dagegen, diejenigen, die mehr besitzen, zu mehr Abgabe zu verpflichten. Fragwürdig ist nur, ob man bei der Diskussion um die strafbefreiende Selbstanzeige an der rechtspolitisch richtigen Adresse ist. Mit einer neuen Klassenjustiz ist dem Gemeinwohl nicht geholfen.

Steuerhinterziehung ist eine Form von Kriminalität. Die Möglichkeit, sich mit einer Selbstanzeige drohenden Sanktionen zu entziehen, bedeutet eine außerordentliche Privilegierung. Das Strafrecht kennt zwar die Figur des reuigen Täters; trotzdem wird er in aller Regel nicht von Strafe ausgenommen. Ein Widerspruch, den keiner auflösen kann, die Konzession an ein untypisches Delikt. Denn dem Staat das Geld vorzuenthalten, auf das er einen Anspruch hat, ist etwas anderes, als es einem anderen Menschen aus der Tasche zu ziehen.

Das wird so bleiben. Was sich ändert, ist die öffentliche Wahrnehmung, befördert auch durch die Euro-Krise. Länder mit einem stabilen Abgabesystem, die mit der Zahlungsmoral ihrer Bürger rechnen dürfen, stehen besser da.

Es geht also um Einnahmen und Moral. Um beides ist es in Deutschland gar nicht schlecht bestellt. Beides hat sich gut entwickelt, trotz Fortbestehens der Selbstanzeige, trotz ihrer Systemwidrigkeit. Auch der Streit um den Ankauf illegal zusammenkopierter Bankdaten hat abgenommen, der ebenfalls einen Systembruch darstellt. Es regiert in den Finanzämtern und Staatsanwaltschaften ein durchaus moralischer Pragmatismus, der nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden sollte.

Wer die Selbstanzeige abschaffen will, schafft keinen Missstand ab. Der Gewinn wäre lediglich die legislative Beglaubigung einer ohnehin veränderten Moral – kein Riesenfortschritt gegenüber gefährdeten Einnahmen und dem Wegfall der Möglichkeit, im Einzelfall Gerechtigkeit zu üben. Es ist ein Thema, das Behutsamkeit erfordert. Wer es in den Wahlkampf zieht, dem geht sie ab.

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