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Meinung: Regeln für das nicht Regelbare

Wolfgang Schäuble will ein Gesetz, das den Abschuss entführter Flugzeuge erlaubt

Es gibt Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, die Ratschläge an den Gesetzgeber enthalten. Etwa, wie eine rechtliche Regelung aufgebaut sein müsse, die vor den Augen der obersten Richter Bestand hat. Der Bundesinnenminister glaubt offenbar, das Karlsruher Urteil vom 15. Februar 2006, mit dem das Luftsicherheitsgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde, sei ein solcher Richterspruch. Deshalb lässt Wolfgang Schäuble seine Juristen über einen „Quasi-Verteidigungsfall“ nachdenken, der im Inneren der Bundesrepublik den Abschuss einer entführten und als Waffe missbrauchbaren Passagiermaschine erlauben würde.

Genau das aber hatten die Verfassungsrichter im Luftsicherheitsgesetz beanstandet. Streitkräfte dürften nicht im Inneren eingesetzt werden, sagten sie. Vor allem aber widerspreche der Abschuss eines Flugzeugs mit unschuldigen Menschen an Bord der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde.

Wenn Schäuble jetzt für künftiges Handeln so etwas wie einen Verteidigungsfall zugrunde legt, will er damit den Einsatz militärischer Mittel – ein Kampfflugzeug der Bundeswehr – legitimieren. Der Gedankengang scheint vor dem Hintergrund des Geschehens nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 nicht unlogisch. Damals verkündeten die USA die Mobilmachung und die Nato rief den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages aus – ein Angriff auf eines der Bündnismitglieder gilt als Angriff auf die gesamte Allianz.

Was Schäubles Juristen, und er selber, freilich übersehen: Den Verteidigungsfall muss das Parlament beschließen, im äußersten Notfall, wenn der Bundestag nicht mehr zusammentreten kann, der Gemeinsame Ausschuss aus Bundestag und Bundesrat. Hat ein Angriff auf die Bundesrepublik bereits begonnen, stellt der Bundespräsident den Verteidigungsfall fest.

Das regelt Artikel 115 Grundgesetz. Von einem Quasi-Verteidigungsfall steht dort nichts. Es ist auch nur schwer vorstellbar, wie der Bundesinnenminister Artikel 115 so dehnen könnte, dass er für diesen speziellen Angriff auf Deutschland mit einem entführten Flugzeug passen würde. Dass er, oder gar der Verteidigungsminister, im Alleingang einen Quasi-Verteidigungsfall verkünden dürfen, ist jedenfalls nicht akzeptabel.

Wer nun aber den Verdacht äußert, Schäuble ginge es eigentlich wieder einmal nur um ein altes Ziel – den Einsatz der Bundeswehr im Inneren –, irrt vermutlich. Es ist seine Pflicht als Minister, auch auf unwahrscheinliche Geschehnisse vorbereitet zu sein. Auf welches Ziel Entführer eine gekaperte Maschine stürzen lassen wollen, ist zwar kaum berechenbar. In einer späten Flugphase kann es aber sehr wohl einschätzbar sein, etwa, wenn sich das Flugzeug einem Atomreaktor nähert. Was dann eintritt, ist kein Verteidigungsfall, sondern ein unbestrittener, übergesetzlicher Notstand.

Darf ein Kampfjet auf Anweisung des Bundeskanzlers durch den gezielten Abschuss einer Zivilmaschine ein zweites Tschernobyl verhindern? Einem auf Klarheit bedachten Juristen mag es zuwider sein, diesen denkbaren Sachverhalt nicht regeln zu können. Er wird es hinnehmen müssen.

Gerd Appenzeller

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