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Meinung: Rennen und verstecken

Gracias Manager kauft ihre Singles auf. Das macht deutlich, wie groß die Krise am Musikmarkt ist

Popmusik ist ein Geschäft. Manchmal ein ziemlich schmutziges. Wenn ein Manager früher seine Schützlinge betrügen wollte, dann ließ er deren Platten in die Läden tragen und gleich zur Hintertür wieder hinaus. In keiner Bilanz tauchten sie je wieder auf, der Manager strich den Reingewinn ein, die Künstler wurden um ihren Anteil geprellt. Wie viele klagten hinterher, dass sie von all dem schönen Geld, das ihnen ihr Erfolg hätte bescheren müssen, nie etwas gesehen haben? Ein altes Lied.

Nun hat David Brandes das Popbusiness mit einer neuen Variante der Selbstbereicherung überrascht. Er kaufte die Platten seiner Schützlinge nämlich selber auf. Das heißt, er bezahlte für CDs, für deren Entstehung er bereits aufgekommen war, noch einmal. Eigentlich ein wirtschaftlicher Selbstmord. Er selbst nennt die Maßnahme, bei der er nach eigenen Angaben „unter 2000“ Singles des Sängersternchens Gracia über Mittelsmänner erwerben ließ, „Stützkäufe“. Die Branche sieht das anders und wirft dem Schweizer Manipulation vor. Er habe, heißt es, auf Gracias Chartplatzierung eingewirkt, um eine Bewerbung für den Eurovision Song Contest zu erschleichen. Den gewann sie sogar und soll Deutschland am 21. Mai in Kiew vertreten. Die Chartwächter entdeckten so genannte „Klumpungen“, das sind auffällig konzentrierte Hamsterkäufe. Sie entfernten daraufhin den Eurovisionsbeitrag „Run & Hide“ sowie alle anderen Brandes-Produkte aus den Hitlisten. Nun hat die deutsche Popbranche einen Betrugsskandal, der sich auszuweiten droht.

„Es tun beinahe alle“, versucht sich Brandes aus der Affäre zu ziehen. Namen nennt der 36-Jährige nicht. Die Firma Media Control, welche die Hitparaden überwacht, spricht von einem einmaligen Vorgang. In früheren Fällen habe es den Verdacht gegeben, aber bewiesen werden konnte nichts.

Warum macht einer das? Brandes’ Aktivitäten beschränkten sich auf den Single-Markt, auf dem nur marginale sieben Prozent des Tonträgerumsatzes erwirtschaftet werden, Tendenz fallend. Das einstige Massenmedium ist längst zum Schattenmarkt geschrumpft. Die Investition in nur einen Song zahlt sich nicht aus. Das Geld verdienen Plattenfirmen und Musiker mit Alben. Die kosten zwar erheblich mehr in der Herstellung, aber da 80 Prozent des Jahresumsatzes mit diesem Großformat verdient werden, spielen sie die Investitionen sehr viel zuverlässiger wieder ein.

Am Bedeutungsverlust der Single hat zuletzt das Internet mitgewirkt. So werden über Download- Plattformen vor allem einzelne Titel heruntergeladen, auf die sich das allgemeine Interesse fixiert – selten, um dafür zu bezahlen. Singles sind zu Wegwerfprodukten einer Popkultur geworden, die nur mal eben so reinhören will, die sich immer seltener binden will an konfektionierte Liederwaren, die von irgendwelchen Zufallsstars vorgetragen werden.

So funktioniert die Single nur noch als Marketingargument, das sich vor allem über die Chartplatzierung formuliert. Ein einzelner Song in den Top Ten ist ein Selbstläufer, weil niemand wagt, den Massengeschmack gegen die künstlerische Qualität auszuspielen. Wer oben steht, hat das auch verdient. Die Verlockung ist groß, ein bisschen nachzuhelfen, zumal nur 1500 Exemplare einen Song bereits unter die ersten 40 hieven. Teurer, als ein Video zu drehen, ist das nicht.

Gracia Bauer sieht sich angesichts der Betrugsvorwürfe um ihre künstlerische Integrität gebracht. Doch da liegt sie falsch, sie hat nämlich gar keine: Als ehrgeiziges Talent, das aus einem „Superstar“-Casting hervorging und von Brandes zum Erfolgsmodell hochgejubelt wurde, ist ihre Glaubwürdigkeit so groß wie ihr Erfolg.

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