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Eine Archivaufnahme vom Rosenmontagsumzug 2007 in Köln.

© dpa

Sexismus-Debatte: Es geht nicht immer um Sex

Der Flirt beruht auf beidseitigem Interesse, heißt es oft, dadurch unterscheidet er sich von der Anmache. Meister dieses Spiels ist Rainer Brüderle offenbar nicht. Dennoch hat er eine wichtige Lektion gelernt.

In einer der zahlreichen Talkshows zum Thema „Brüderle und die Folgen“ habe ich etwas Neues gelernt. Der Politiker Wolfgang Kubicki (FDP) saß bei „Maybrit Illner“ und erzählte, dass heute bei einem Flirt die erste Berührung, also der Übergang zum Körperlichen, von der Frau kommen muss. Als ich 16, 17 Jahre alt war und meine ersten Erfahrungen mit Mädchen machte, waren die Spielregeln noch anders. Irgendwann musste der Junge das Mädchen an der Hand fassen, dann zog das Mädchen entweder die Hand zurück oder nicht. Es gab ein Mädchen, das mir besonders gut gefiel, so gut, dass ich mich nie traute, weil ich zu viel Angst vor einer demütigenden Zurückweisung hatte. Wir trafen uns oft. Verstand ich ihre Signale überhaupt richtig? Wann war der richtige Moment? Würde ich ihre Freundschaft verlieren, wenn ich mich geirrt hatte? Viele Jahre später erzählte sie mir, dass es ihr ähnlich ging.

Das Spiel ist kompliziert. Der Flirt beruht auf beidseitigem Interesse, heißt es oft, dadurch unterscheidet er sich von der Anmache. Aber ob das Interesse beidseitig ist, und um welche Art von Interesse es sich handelt, müssen die beteiligten Personen ja erst einmal herausfinden. Pannen, Missverständnisse und Peinlichkeiten werden sich, solange es Menschen gibt und das Spiel gespielt wird, nie ganz ausschließen lassen. Möglich ist alles, sicher ist nichts. Manchmal finden auch Menschen zusammen, die ein großer Altersunterschied und ein erhebliches Machtgefälle trennt, wie zum Beispiel das Ehepaar Müntefering. Verurteilenswert ist nicht diejenige Person, Mann oder Frau, die sich falsche Hoffnungen macht und Signale falsch deutet. Verurteilenswert ist nur derjenige, der eine Zurückweisung nicht akzeptiert und den Irrtum nicht einsehen möchte.

Nicht selten ist der Flirt Selbstzweck. Es geht nicht immer um Sex. Zwei Menschen, die beide gebunden sind und beide an Seitensprüngen kein Interesse haben, können flirten, nur, um sich wechselseitig ihrer Attraktivität zu versichern, ein hübsches Spiel, Worte, Blicke, eine Art Tanz, weiter nichts. In den USA hat man dieses Spiel weitgehend durch ungeschriebene Gesetze ersetzt. Nach zwei Verabredungen zum Essen ruft der Mann, bei Interesse, an und schlägt ein drittes Abendessen vor. Stimmt die Frau zu, dann werden die beiden wahrscheinlich die Nacht miteinander verbringen. So hat man das Verletzungsrisiko auch aus diesem Lebensbereich verbannt

Rainer Brüderle spielte schlecht. Plumpe Anbaggerei führt zwischen zwei gleichberechtigten Menschen selten zu irgendetwas, außer Ärger. Aber er hat die Zurückweisung durch eine Reporterin akzeptiert. Sie haben sich in den Monaten danach mehrfach getroffen, sogar zu zweit, er hat nie wieder einen Versuch unternommen.

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