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Britain's new Prime Minister Rishi Sunak stands outside Number 10 Downing Street, in London, Britain, October 25, 2022. REUTERS/Henry Nicholls

© Reuters/Henry Nicholls

Spätbritische Dekadenz: Die verführerische Aura des Erfolgs

Rishi Sunak übernimmt die Führung Großbritanniens. Sein deutsches Pendant: Friedrich Merz. Ihr Reichtum macht sie angreifbar – und attraktiv. Warum eigentlich?

Eine Kolumne von Adrian Schulz

Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich Politiker bewegen, wenn sie ihren Lebensstil offenbaren. Bescheiden sollen sie sein und dennoch einen gewissen Glanz versprühen. Normal sein, aber auch außergewöhnlich. Von Erfolg sollte ihr Leben zeugen, von einer gewissen Gutbürgerlichkeit. Aber von Luxus? Steigende Lebenshaltungskosten machen mitunter schon einfache zivilisatorische Standards zum Luxus. In solchen Zeiten gerät, wer sich um die Führung einer Partei oder gar eines Landes bewirbt, schnell in den Ruch der Abgehobenheit.

Das erlebte der neue britische Premierminister Rishi Sunak, Ex-Hedgefonds-Manager und Goldman Sachs-Analyst, als ihn im März eine BBC-Reporterin fragte, welches Brot er kaufe. „Wir alle haben verschiedene Brote“, antwortete er: seine Frau, seine Kinder, er selbst.

Dabei gibt es Familien, bei denen es schon bei einem Brot eng wird im Geldbeutel: Das reale Einkommen in Großbritannien ist um den größten Wert seit 20 Jahren gesunken. Dass Sunak trotz solcher Auftritte („Rishi Antoinette“ spottete man auf Twitter – in Anspielung auf Königin Marie Antoinette) höchster Mann im Staate wurde, hat weniger mit seinen Qualitäten zu tun als mit den Fehltritten anderer.

Als noch heikler erweist sich die Frage nach dem Reichtum der Familie. Sunak und seine Frau Akshata Murty, Tochter eines indischen Tech-Unternehmers, haben ein Vermögen von rund 730 Millionen Pfund. Einen Wohnsitz im Vereinigten Königreich wollte Murty erst nach Medienberichten anmelden; zuvor vermied sie so die Zahlung von 4,4 Millionen Pfund Steuern pro Jahr. Der „Guardian“ fragte bereits, ob Sunak „zu reich“ sei, „um Premierminister zu sein".

Er soll Großbritannien wirtschaftlich stabilisieren. Als Finanzminister ist Sunak bereits gescheitert. Was die Vermehrung des eigenen Geldes angeht, ist seine Kompetenz dagegen unbestritten.

Ähnliches gilt für Friedrich Merz, der einmal seinen Laptop verlor und sich bei einem Obdachlosen, der das Gerät fand, mit einem signierten Exemplar seines Buches fürs Zurückbringen bedankte. Vor der Übernahme des CDU-Parteivorsitzes ließ sich Merz seine Kontakte als langjähriger Christdemokrat bei BlackRock, dem größten Vermögensverwalter der Welt, versilbern. Gegen die spätbritische Dekadenz wirkt Merz’ damaliges Eingeständnis, mit den Aufsichtsrats-Jobs verdiene er „rund eine Million Euro brutto“, fast kläglich.

Privater Reichtum macht Politiker angreifbar. Aber: Er macht sie auch attraktiv. Er verleiht ihnen jene Erfolgsaura, dank der oft ein Tauschgeschäft entsteht: Ihr gebt mir Eure Stimme, und ich verspreche euch, dass ihr es unter mir auch so weit bringt. In ihrem Buch „Die Erfindung der Leistung“ wendet sich die Historikerin Nina Verheyen dagegen, „das Leistungsparadigma pauschal zu verteufeln“. Allerdings sei es falsch, Leistung verkürzt in Reichtum zu messen, also „die Ergebnisse kollektiver Arbeit einzelnen Menschen als individuelle Leistung“ zuzuschreiben.

„Der wäre in der privaten Wirtschaft längst weg vom Fenster", granteln die Mini-Sunaks und Mini-Merze gern, wenn ihnen jemand von der Verwaltung mal wieder zu langsam, zu kompliziert oder zu doof kommt. Daraus spricht die Identifikation mit einem System, das denen gibt, die haben. Haben im Sinne von: hart gearbeitet. Reiche Eltern gehabt. Oder auch nur: Glück gehabt.

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