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Meinung: Streit um die Betriebsverfassung: Irgendwann wird es immer ernst

Das waren noch Zeiten, als die Schreibmaschine mit Kugelkopf an der Spitze des technischen Fortschritts stand und der VW-Käfer zum meistgebauten Auto der Welt wurde. Im Jahr 1972 kannte niemand Globalisierung, Outsourcing und New Economy.

Das waren noch Zeiten, als die Schreibmaschine mit Kugelkopf an der Spitze des technischen Fortschritts stand und der VW-Käfer zum meistgebauten Auto der Welt wurde. Im Jahr 1972 kannte niemand Globalisierung, Outsourcing und New Economy. 1972 gab es Olympische Spiele in München und ein Misstrauensvotum gegen Willy Brandt, den Bundeskanzler, der mehr Demokratie wagen wollte; mehr Demokratie auch in der Wirtschaft, in den Unternehmen. Um Mitbestimmung im Betrieb zu ermöglichen, führte die sozialliberale Koalition 1972 das Betriebsverfassungsgesetz ein, das den Arbeitnehmern durchsetzbare Beteiligungsrechte garantiert. Die Arbeitgeber und ihre Verbände motzten und sprachen von einem "lästigen und kostenträchtigen" Gesetz. Das hört sich heute so ähnlich an: Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt spricht von einer "Attacke auf die unternehmerische Freiheit in Deutschland"; die geplante Reform der Betriebsverfassung sei "bürokratisch, kostentreibend und einseitig gewerkschaftsorientiert".

Glaubt man den Arbeitgebern, dann will Arbeitsminister Walter Riester das System ändern, die Regulierungsschraube anziehen und dem Standort Deutschland schweren Schaden zufügen. Aber was will er wirklich? Es geht Riester weniger um eine Ausweitung der Mitbestimmung als um ihre Absicherung. Denn in den vergangenen 28 Jahren hat sich die Betriebsverfassung respektive die deutsche Form der Mitbestimmung zwar als Erfolgsmodell bewährt - was auch die Arbeitgeber einräumen. Doch die Reichweite schrumpft: Immer weniger Betriebe haben Betriebsräte, Unternehmen werden gekauft und zerschlagen, bekommen jedenfalls neue Strukturen, in denen häufig keine Betriebsräte mehr auftauchen. Alles in allem arbeiten inzwischen weniger als 40 Prozent in Unternehmen mit Betriebsrat, in den Firmen der New Economy, in Software- und Telekom-Häusern sogar nur 16 Prozent.

Wozu auch braucht eine moderne Internet- oder Medienfirma einen Betriebsrat? In der offenen Unternehmenskultur der New Economy werden die Arbeitnehmer direkt beteiligt - an Entscheidungen ebenso wie am materiellen Ergebnis; die Arbeitsbeziehungen sind durch flache Hierarchien, Schnelligkeit, Transparenz und Teamgeist gekennzeichnet. Alle verdienen viel Geld, alle sind glücklich miteinander - was soll da ein Betriebsrat den Betriebsfrieden stören? Oder könnte es sein, dass auch ein tolles Start-up-Unternehmen mal in Schwierigkeiten kommt, womöglich Leute rauswerfen muss, ein Büro schließen? Wie ist das dann mit dem netten Verhältnis des Geschäftsführers zu den Angestellten? Wenn es ernst wird, dann kann nur ein Betriebsrat die im Betriebsverfassungsgesetz garantierten Rechte wahrnehmen. Und irgendwann wird es immer mal ernst, siehe EM.TV.

Die Mitbestimmung, die Zusammenarbeit der Betriebsparteien ist auch deshalb so attraktiv, weil sie die Zustimmung der Arbeitnehmer zu harten, aber unvermeidlichen Entscheidungen erleichtert. Wenn es einen Betriebsrat gibt, dann sitzt der eben mit im Boot und versucht gegebenenfalls, dieses gemeinsam mit der Geschäftsführung wieder in Schwung zu bringen. Doch insbesondere Kleinbetriebe lehnen Betriebsräte wegen des Aufwands ab: Wahlen, Sitzungen, Abstimmungsprozesse, Kosten. An dieser Stelle muss Riester wirklich aufpassen. Sollte die reformierte Betriebsverfassung mehr Aufwand und Kosten, mehr Gremien und mehr Bürokratie bringen, dann wäre das Ziel verfehlt, die Wiederbelebung der Mitbestimmung misslungen.

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