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Streitfall Straßenbeleuchtung: Knipst die Gaslaternen aus!

„Totaler Lichterkrieg“, verzerrte Fakten: Wo um die Zukunft der Straßenleuchten gestritten wird, gehen einige Freunde des Althergebrachten in die Irre. Ihre Argumente gegen elektrisches Licht sind rasch entkräftet. Doch zugegeben: Wenn das später gut aussieht, ist das auch ein Verdienst der Gaslichtfans.

Im Rückblick wird dieses Wochenende vielleicht erhellend gewesen sein, wahrscheinlich aber eher verwirrend. Am Freitagabend lud der Staatssekretär Christian Gaebler nach Kreuzberg, um die Vorzüge elektrisch betriebener Gaslaternenimitate zu preisen. Und an diesem Sonnabend wollen die Freunde des Originals in Charlottenburg per Menschenkette für dessen Bewahrung demonstrieren. Die Lage ist unübersichtlich in dieser Debatte, in der Wattzahlen gegen Wohlfühlfaktoren aufgerechnet werden und Kelvin gegen Kilowatt. Und über allem schwingt der Peitschenmast, der nicht mit Aufsatz-, Hänge- und Modellleuchte zu verwechseln ist.

Ich persönlich mag Gaslaternen. So wie ich auch Dampfloks mag. Ich mag das Technikmuseum in Kreuzberg und das Gaslaternenmuseum in Tiergarten. Aber wenn ich verreise, steige ich gänzlich ohne Wut in den ICE. Und wenn ich in Berlin bin, laufe ich tatsächlich ohne Abscheu auch unter elektrischen Straßenlaternen entlang.

Zu der Menschenkette hat der Verein Gaslicht-Kultur aufgerufen, dem im weitesten Sinne kultur- und traditionsbewusste Menschen angehören. Außerdem will sich der Verein Pro Gaslicht beteiligen, der ein Mitteilungsblatt namens „Zündfunke“ herausgibt, das offenbar auf Kurzschlusshandlungen beruht. Lesepröbchen gefällig? Voilà: „Der Kahlschlag in Berlin lässt schlimme optische Verwüstungen übrig“ … „Gaslaternen-Massaker“ … „Blitzkrieg“ … „Der totale Lichterkrieg“ … „Betonriege in der Senatsverwaltung“. Deren „Technokraten wie Bulldozer“ würden „durch Gründerzeit- oder Jugendstilviertel donnern“. Dabei würden „die Maste einfach über parkende Pkw hinweg jongliert“. Dass ausgerechnet das grüne und bisher „vom seidig-weichen Gaslicht umschmeichelte“ Lichterfelde in diesem Jahr elektrische Laternen bekommen hat, ist laut dem Fachblatt auf „krankes Verhalten von verklemmten Technokraten“ zurückzuführen. Zwar wurde diese Diagnose mit einem Fragezeichen versehen, aber wer so redet, hat erfahrungsgemäß schlechte Argumente oder einen schwierigen Charakter.

Auch die Fakten werden gelegentlich vom seidig-weichen Gaslicht so umschmeichelt, dass man sie kaum noch erkennen kann. Da wäre zum Beispiel der Hinweis, dass Gaslicht das natürlichste Licht überhaupt sei und mangels UV-Anteil keine Insekten verbrutzele wie elektrische Laternen. Wenn das natürlichste Licht keinen UV-Anteil hat, gilt ab sofort: Sonne, verpiss dich, keiner vermisst dich! Die Sache mit den Insekten stimmt zwar, aber dann dürfte nach Sonnenuntergang auch kein Auto mehr fahren.

Was hätten wir noch? Lichtsmog, der durch Gaslaternen minimiert werde. Tatsächlich ist es ein Problem für viele Tierarten, dass die moderne Welt die Nacht zum Tag macht. Aber da auch elektrische Laternen vorwiegend nach unten strahlen, sind sie harmlos im Vergleich zu Lichtschmutzfinken wie dem Sony-Center und all den anderen weithin strahlenden Bürogebäuden.

Die Behauptungen der Traditionalisten sind oft falsch

Dass die Gaslichtfreunde mal das gezielte Vergammelnlassen ihrer Lieblinge in Berlin beklagen und mal deren besondere Pflegeleichtigkeit loben, ist geschenkt. Zur Wahrheit gehört aber, dass die mehr als 40 000 Berliner Gaslaternen im Wochenrhythmus kontrolliert werden müssen. Eine fragwürdige ABM. Und dass das durch die Masten strömende Gas als Korrosionsschutz so lebenswichtig ist, darf angesichts tausender unverbrüchlich aufrechter Verkehrsschilder bitte bezweifelt werden.

Was vergessen? Oh ja, die giftigen Leuchtstofflampen, durch die zurzeit die Gasreihenleuchten in den (Haupt-)Straßen mancher West-Berliner Kieze ersetzt werden. Quecksilber-Alarm! Stimmt. Zumindest wenn man die Leuchten zerschmeißt und sich dann schnüffelnd über die Scherben beugt. Sonst ist anzunehmen, dass selbst der nimmersatte Großkapitalistenkonzern Vattenfall als derzeitiger Betreiber der Berliner Straßenbeleuchtung alte Lampen nicht einfach im Tarifgebiet C in den Straßengraben kippt. Also eher Quacksalber-Alarm.

Bevor sie jedoch kaputtgehen, leuchten sie. Bei den Gaslaternen gehen dabei gut 97 Prozent der Energie als Abwärme verloren, was selbst die gerade verbotenen Glühlampen in den Schatten stellt. Würde man das Gas in einem modernen Kraftwerk verfeuern, hätte man Strom für ein Dutzend ebenso heller Leuchten und eine Mütze voll Fernwärme dazu. Auch die CO2-Bilanz ließe sich um mehr als 90 Prozent verbessern. Allein der Ersatz der Gasreihenleuchten vermeidet fast 10 000 Tonnen pro Jahr. Peanuts, sagen die Gasfreunde. Aber mit genau demselben Argument kontert beispielsweise die Luftfahrtbranche, wenn es um ihren Beitrag zum Klimaschutz geht. Nur wird dort der Sprit von den Passagieren bezahlt und nicht aus Steuergeld. Gaslaternen sind die richtige Stelle zum Sparen in einer Stadt, in der ein Schulessen bisher kaum zwei Euro kosten darf, Straßen zerbröseln und Schulen vergammeln. Außerdem ist Erdgas schlicht zu schade, um in Laternen verheizt zu werden. Es wird in Kraftwerken gebraucht, wo es die ideale Ergänzung zum schwankenden Angebot von Wind- und Sonnenenergie ist.

Da in der Diskussion Kopf und Bauch gegeneinander anreden, kann es am Ende keinen klaren Sieger geben. Aber einen Gewinner: die Laternen. Während die Fangemeinde der jetzt fälligen Gasreihenleuchten eher überschaubar ist, kommen voraussichtlich ab 2016 auch die von viel mehr Menschen geschätzten und für schützenswert befundenen Typen dran: Aufsatz-, Hänge- und Modellleuchten. Dank der öffentlichen Aufmerksamkeit dürften deren historische Formen wohl am Ende bewahrt werden. Nur ihr Innenleben wird ins 21. Jahrhundert befördert, also elektrifiziert. Wie originalgetreu die alten Bekannten anschließend glimmen werden, ist dann eine politisch zu entscheidende Kostenfrage. Perfekte Imitate würden nach aktuellem Stand leider arg teuer, aber man bekäme wohl auch ziemlich gute zu passablen Konditionen. Wenn Berlins Beleuchtung zeitgemäß wird und dabei schön und einzigartig bleibt, wird das, ja, doch, auch ein Verdienst der Gaslichtfreunde sein.

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