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Ein Palästinenser vor dem Felsendom in Jerusalem. Auf dem Gelände befindet sich auch die Al-Aqsa-Moschee.

© dpa

Syrien, Iran und der Nahost-Konflikt: Wer nicht an Überraschungen glaubt, ist kein Realist

Die drei nahöstlichen Großbaustellen werden 2014 die regionale Dynamik nachhaltig beeinflussen, kommentiert Nora Müller von der Körber-Stiftung. Grund für viel Optimismus aber sieht sie dabei nicht.

Prognosen sind bekanntermaßen schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen - und sich auf eine so volatile Region wie den Nahen Osten beziehen, möchte man dem Twain’schen Bonmot hinzufügen. Eines lässt sich indessen schon heute mit ziemlicher Sicherheit sagen: 2014 werden mit Blick auf die nahostpolitischen Großbaustellen - den israelisch-palästinensischen Konflikt, den Bürgerkrieg in Syrien und den Streit um das iranische Atomprogramm – wichtige Weichen gestellt, die die regionale Dynamik nachhaltig verändern könnten.

Im Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat die Uhr einmal mehr zu ticken begonnen. US-Außenminister Kerry setzt seine unermüdliche Pendeldiplomatie fort, um den Konfliktparteien ein Rahmenabkommen für eine umfassende Friedenslösung auf der Basis des Zwei-Staaten-Ansatzes schmackhaft zu machen. Bisher, so scheint es, müssen Washingtons Chefdiplomat und sein Team die beiden Seiten zum Jagen tragen.

Für seine umstrittene Äußerung, nur ein Friedensnobelpreis für Kerry könne Israel vor dem ungebetenen Friedensstifter aus den USA retten, erntete der israelische Verteidigungsminister Jaalon viel Kritik. Zugleich sprach er damit aber auch das aus, was viele seiner Landsleute denken. „Keine Zeit für Skepsis“ lautet dagegen Kerrys Mantra, denn bis Ende April sollen die Eckdaten für ein Friedensabkommen stehen. Angesichts der wenig ermutigenden Signale aus Jerusalem und Ramallah und der zunehmend gereizten Gesprächsatmosphäre zwischen Israelis und Palästinensern wachsen jedoch die Zweifel an der Erreichbarkeit dieses ambitionierten Ziels.

Vielleicht kommt der Abschied vom Dogma der Zwei-Staaten-Lösung

Was also, wenn Kerrys Friedensmission sich tatsächlich als „Mission Impossible“ herausstellt? Dass – wie von Kerry prophezeit - die konfliktmüden Palästinenser auf das Scheitern eines Prozesses, in den sie von Anfang an keine großen Hoffnungen gesetzt haben, mit einer dritten Intifada reagieren werden, ist eher unwahrscheinlich. Vielmehr wird die palästinensische Führung versuchen, das Recht auf einen unabhängigen Staat im Rahmen der internationalen Organisationen, nicht zuletzt durch eine Klage gegen Israels umstrittene Siedlungspläne vor dem Internationalen Strafgerichtshof, durchzusetzen. In der Zwischenzeit wird Israel seine Siedlungsaktivitäten fortsetzen und den Status-quo weiter zementieren. 2014 könnte mithin als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem sich die internationale Gemeinschaft endgültig vom Dogma der Zwei-Staaten-Lösung verabschieden muss, weil die Gegebenheiten vor Ort eine Umsetzung unmöglich machen.

Überzeugende Alternativen zur Schaffung eines "unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staates, der in Frieden und Sicherheit mit Israel und seinen Nachbarn zusammenlebt", wie es im Grundlagendokument des Nahost-Quartetts zur Zwei-Staaten-Lösung heißt, liegen bislang nicht auf dem Tisch: denn weder ein "Weiter wie bisher" noch die Vision eines binationalen israelisch-palästinensischen Staates wird auf Dauer den Ansprüchen beider Konfliktparteien gerecht werden können.

Von Libanon bis Irak entsteht eine durchgängige Konfliktzone

Auch die von UNO, USA und Russland seit Monaten vorbereitete und immer wieder verschobene Syrien-Konferenz, die am Mittwoch in Montreux beginnt, wird geradezu mantra-artig als "letzte Chance" für eine friedliche Lösung des syrischen Bürgerkriegs beschworen. Dabei sind auch hier die Erfolgsaussichten denkbar gering. Denn angesichts neuer Stärke sieht das Assad-Regime keine Veranlassung zu Zugeständnissen an eine nach wie vor gespaltene Opposition. Internationale und regionale Akteure, allen voran die Hauptkontrahenten Saudi-Arabien und Iran, verfolgen konfligierende Ziele. Statt deeskalierend zu wirken, gießen sie weiter Öl ins Feuer.

Iran, an dessen militärischem und finanziellen Tropf der Damaszener Diktator hängt, ist Teil des Problems - zugleich aber auch einer der Schlüsselstaaten im Syrien-Konflikt, ohne den eine Lösung nur schwer vorstellbar ist. Dass die iranische Delegation nach langem Hin und Her in Montreux nicht mit am Tisch sitzen wird, dürfte die Erfolgschancen der Konferenz weiter schmälern.

Unterdessen werden die Vorbereitungen für „Genf II“ von einem Ereignis überschattet, das weit mehr als die Konferenz in den Schweizer Alpen den Ton für die zukünftigen Entwicklungen in Syrien und der Levante setzen könnte: die Übernahme der Städte Falludscha und Ramadi in der westirakischen Unruheprovinz Al-Anbar durch Kämpfer des Al-Qaida-Ablegers „Islamischer Staat im Irak und der Levante“ (ISIL) Anfang Januar macht deutlich, dass der syrische Bürgerkrieg sich immer weniger auf das Territorium Syriens begrenzen lässt.

Von Libanon bis Irak entsteht eine durchgängige Konfliktzone, in der staatliche Ordnung erodiert und jihadistische Gruppen ihren Aktionsradius nahezu ungehindert ausdehnen können. Während das Assad-Regime das neue Jahr und die anstehenden Präsidentschaftswahlen nutzen wird, um seine Position zu konsolidieren, ist eine weitere Fragmentierung Syriens ebenso wahrscheinlich wie das Erstarken jihadistischer Kräfte.

Hardliner in Teheran wie in Washington müssen besänftigt werden

Für die Verhandlungen über eine dauerhafte Lösung im Streit um das iranische Atomprogramm spielt momentan vor allem der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. In den kommenden sechs Monaten wird sich entscheiden, ob es den E3+3-Staaten und Iran gelingt, die vorläufige Genfer Übereinkunft, die am Montag in Kraft getreten ist, in ein permanentes Abkommen zu überführen. Viel wird davon abhängen, ob die Gegner einer Vereinbarung – Hardliner in Washington und Teheran ebenso wie Skeptiker in Jerusalem und Riad – besänftigt werden können. Dass sowohl die E3+3-Staaten als auch Iran bereits viel politisches Kapital investiert haben und eine Einigung im Interesse beider Seiten ist, erhöht die Erfolgsaussichten.

Es steht viel auf dem Spiel: Mehr denn je in der Geschichte des seit zehn Jahren brodelnden Nuklearkonflikts gibt es derzeit eine reale Chance auf eine dauerhafte Lösung. Ein permanentes Abkommen könnte wesentlich zur Stabilisierung der Region beitragen. Auch die Golf-Staaten und Israel, die eine Annäherung zwischen Iran und dem Westen äußerst skeptisch beäugen, würden langfristig von mehr Stabilität und Sicherheit profitieren. Noch verfügt Präsident Rouhani über den Rückhalt des Revolutionsführers Khamenei, der die konservativen Kontrahenten des moderaten Reformers in Schach hält.

Schafft es Rouhani jedoch nicht, im ersten Halbjahr 2014 spürbare Verbesserungen der wirtschaftlichen Lage – vor allem durch eine Lockerung der internationalen Sanktionen – vorzuweisen und einen Verhandlungserfolg zu präsentieren, der Irans Interessen hinlänglich berücksichtigt, könnte Khamenei Rouhani seine Unterstützung entziehen. Im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen wäre – so befürchten Beobachter – mit einem jähen Ende von Rouhanis Öffnungskurs zu rechnen, und die Befürworter einer konfrontativen Linie gegenüber dem Westen könnten in Teheran einmal mehr die Oberhand gewinnen.

Zähes Ringen um einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern, mehr Chaos und Gewalt in der Levante, vielleicht eine dauerhafte Lösung im Nuklearkonflikt: so weit, so vorhersehbar? Nicht zuletzt der für die meisten Beobachter völlig überraschende Ausbruch der arabischen Revolutionen 2011 hat deutlich gemacht: Prognosen sind stets mit dem sprichwörtlichen "Körnchen Salz" zu nehmen. Halten wir es also mit David Ben Gurion: Wer nicht an Überraschungen glaubt, ist kein Realist.

Nora Müller ist Programmleiterin im Bereich Internationale Politik der Körber-Stiftung.

Nora Müller

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