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Thilo Sarrazin: Da hilft nur Liebesentzug

Thilo Sarrazin hat es wieder einmal geschafft. Mit seinen Äußerungen über Ausländer in der Gesellschaft ist er Topthema in den Medien. Doch die sollten aufpassen, dass sie sich nicht für seinen Egotrip instrumentalisieren lassen. Ein Zwischenruf

Es ist, gelinde gesagt, erstaunlich. Vor rund zwei Wochen lief die erste Agenturmeldung über Thilo Sarrazins Interview im "Lettre International" in den Redaktionen ein. Seitdem erscheinen täglich Artikel, in denen sich die Autoren kritisch mit den inzwischen wohlbekannten Äußerungen des Bundesbankvorstands zum Zustand der Gesellschaft im Allgemeinen und deren “Rändern” im Speziellen auseinandersetzen. Unter den Stichwörtern "sarrazin" und "lettre international" beispielsweise finden sich in der Google-Newssuche tausende von Einträgen.

Die Kommentatoren erregen sich darüber, was Sarrazin sagt, distanzieren sich von der Art und Weise, wie Sarrazin es sagt, und finden immer neue "Experten", die meinen, sie hätten sich noch nicht ausführlich genug zu diesem Thema öffentlich geäußert.

Sarrazins angekratztes Ego

Was ist eigentlich geschehen? Thilo Sarrazin hat seine volkswirtschaftlichen Ansichten populistisch in Umlauf gebracht. Es ist nicht das erste Mal, dass er das getan hat – auch wenn die Art der Äußerungen schärfer ist als in der Vergangenheit. Früher, als Sarrazin noch Berliner Finanzsenator war, hat er sich in regelmäßigen Abständen über Empfänger von Arbeitslosengeld II oder Trainingsanzugträger ausgelassen. Mit dem Unterschied, dass er damals ein größeres Forum hatte: Die Zeitschrift "Lettre International" hat eine überschaubare Auflage von gut 20.000 Exemplaren. Nicht zu vergleichen mit der Zahl von Lesern, Hörern oder Zuschauern, die Sarrazin mit früheren Interviews erreicht hat – das kratzt an seinem Ego.

Um es deutlich zu sagen: Es ist nicht falsch, journalistisch über das Thema zu berichten, wie es selbstverständlich auch der Tagesspiegel tut. Es geht mehr um Umfang und Qualität und darum, einen Schlussstrich zu ziehen, wenn alle Aspekte beleuchtet sind. Ansonsten besteht die Gefahr, sich vor Sarrazins Karren spannen zu lassen.

Hier liegt wohl auch die Erklärung für Sarrazins wiederholten Rundumschlag gegen die Sozialschwachen. Denn zum einen hat Sarrazin seit seinem Wechsel zur Bundesbank ein wesentlich kleineres Publikum. Für jemanden, der es zweifellos liebt, den Bad Guy einer Generation zu geben, die in den späten 1960er Jahren beschloss, dass Aufklärung, Toleranz und Verantwortungsgefühl für alle in ihren Augen Benachteiligten und Unterdrückten ihr Markenzeichen ist, war es um Thilo Sarrazin sehr still geworden. Zu still offenbar. Zum anderen fühlen sich genau jene, für die Sarrazin den Bad Guy gibt, besonders gefordert, seine in einer kleinen intellektuellen Zeitschrift geäußerten Gesellschaftsansichten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Immer mit dem Unterton der Empörung. Immer verbunden mit der Aufforderung, sich doch bitte ebenfalls über diese Ansichten zu erheben.

Kostenloses Streicheln

So gesehen hat Sarrazin bereits genau das erreicht, was er wollte. Endlich wieder Öffentlichkeit, endlich wieder Schlagzeilen, endlich wieder Bad Guy. Man hätte ihn sonst vergessen können. Er wusste wohl, dass er sich auf seine alten Feinde in ihrem Streben nach einer pluralistischen Gesellschaft und in ihrer reflexartigen Verteidigung ihrer 68er-Ideale verlassen konnte. Sie haben sich zu Streichlern für Sarrazins in einem staubigen Büro angeknackstes Ego machen lassen. Und sie tun es weiter - während der so Gescholtene schweigt und sich vermutlich die Hände über so viel kostenlose Egopolitur reibt.

Dabei gibt es eigentlich nur eine wirksame Methode, den populistischen Krachmacher Sarrazin zum Schweigen zu bringen: Liebesentzug.

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