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© AFP

US-Wahlkampf: Sarah Palin spaltet Amerika

Amerika ist gespalten über die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin. Ihre Anhänger freuen sich über einen charakterstarken Medienstar, der Barack Obama Paroli bieten kann. Gegnern gilt sie als religiös und erzkonservativ. Welches Bild stimmt denn nun?

Vor 19 Tagen betrat eine 44-Jährige die nationale politische Bühne der USA. Bis dato hatten die meisten Amerikaner noch nie von ihr gehört, sie ist Gouverneurin von Alaska: eines Bundesstaats, der von der Fläche her riesig ist – vier Mal so groß wie das vereinigte Deutschland – und enorme Öl- und Gasvorkommen besitzt, von der Bevölkerungszahl (unter 700.000) und der politischen Bedeutung dagegen unbedeutend ist. Doch Sarah Palin ist seit dem 29. August die Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner. Und das heißt: US-Bürger kommen gar nicht mehr an ihr vorbei. Die Fernsehsender zeigen sie ständig, die großen Tageszeitungen widmen ihr Geschichten auf den Titelseiten.

Nun ist Amerika gespalten. In der öffentlichen Meinung existieren unverkennbar zwei Bilder von Sarah Palin, die sich kaum miteinander in Einklang bringen lassen.

Da sind einerseits ihre Anhänger, zum Großteil zugleich Fans der Republikaner. Sie freuen sich, dass eine charakterstarke, energische junge Frau die Bühne betritt, die dem Medienstar der Demokraten, Barack Obama, Paroli bieten kann. Die schon wegen des Neugiereffekts breite Aufmerksamkeit erhält. Und die alle Ideale der Frauenbewegung wie des konservativen Familienbildes erfüllt: verheiratet und berufstätig, Mutter von fünf Kindern und doch Karriere gemacht, dazu der Männerwelt getrotzt. Ihre Gegner, zum Großteil Anhänger der Demokraten, sehen in Sarah Palin dagegen eine rundherum abschreckende Figur: religiös bis zur Wissenschaftsfeindlichkeit, mit erzkonservativen Rollenbildern von Frau, Familie und Beruf, dazu eine Politikerin, die alle möglichen anfechtbaren Ziele vertritt, vom absoluten Abtreibungsverbot über die unbegrenzte Freiheit des Waffentragens bis zu einer Energiepolitik, in der sparsamer Umgang mit endlichen Reserven klein geschrieben, Raubbau an der Natur dagegen groß geschrieben wird.

Und welches Bild stimmt nun?

Das wäre die falsche Frage. Die Umfragen zeigen: Es geht um erste Eindrücke von der Person, und es geht darum, wie weit sie sich mit den stabilen Weltbildern und Ideologien der jeweiligen Betrachter in Einklang bringen lassen. Die Mehrheit der Amerikaner sehnt sich nicht nach kritischer Überprüfung und Selbstvergewisserung, sondern nach der Geborgenheit und Sicherheit, die die Zugehörigkeit zu einem Lager vermittelt.

Die 19 Tage, seit Sarah Palin am 29. August die nationale Bühne betrat, gliedern sich medientechnisch in drei Phasen. In den ersten ein, zwei Tagen bedienten sich die Medien vorrangig aus den Informationen der Republikanischen Parteien – andere, neutralere oder gar kritische Quellen ließen sich auf die Schnelle nicht erschließen. Es folgte eine Zeit kritischer Überprüfung dieser (parteiischen) Vorgaben, die bis heute anhält. Sie wurde aber unterbrochen von einer neuen Wahlkampfoffensive während des Republikanischen Parteitags (1. bis 4. September), in dessen Mitte Palin eine eindrucksvolle Rede hielt.

Die kritische Überprüfung der republikanischen Behauptungen, welche Charakterzüge das Bild der Politikerin Sarah Palin bestimmen, führte – von New York Times über Washington Post bis Chicago Tribune oder Los Angeles Times – zu weniger schmeichelhaften Ergebnissen.

Sie sei eine Kämpferin gegen Lobbyismus? Nein, sie hat selbst eine Lobbyfirma beauftragt, Millionen Hilfsgelder nach Alaska zu leiten.

Sie gehe hart gegen Verschwendung öffentlicher Gelder vor? Falsch, sie unterstützte zweifelhafte Infrastrukturprojekte von Parteifreunden, wenn sie nur Geld nach Alaska brachten, und ließ sich für Nächte, die sie zuhause statt im Gouverneurspalast schlief, aus der Staatskasse „entschädigen“.

Sie kämpfte gegen „Old-boy“-Seilschaften? Ihre Personalpolitik zeigt, ganz im Gegenteil, das selbe Muster: Ja-Sager wurden eingestellt und befördert, Kritiker entlassen.

Die Liste von offenen Schwindeleien oder geschönten Darstellungen über Sarah Palin ist lang.

Viel interessanter aber ist: Die Aufdeckungen haben ihrem öffentlichen Bild nicht geschadet. Im Gegenteil, je mehr kontroverse Fakten ans Licht kamen, desto mehr Rückhalt schien sie in einem großen Teil der Gesellschaft zu finden. Das zeigen jedenfalls ihre Sympathiewerte in den Umfragen. Und dazu trug der Parteitag das Seine bei.

Doch es muss da eben auch eine Kraft geben, die stärker ist als das Bemühen der großen Zeitungen um Aufklärung. Viele Bürger, die nicht der schmalen Infoelite angehören, erkennen in Sarah Palin ihren eigenen Alltag, ihre eigenen Kämpfe wieder. So, wie sie im Fernsehen auftritt, vermittelt sie vielen Zuschauern Authentizität.

Die Medien, die dieses Palin-Bild zerpflücken wollen, gehören aus der Sicht dieser Bürger zu einer anderen Welt, die nur ständig politischen Streit produziert. Warum sollen sie auf deren Aufdeckungen etwas geben. Sie trauen lieber ihrem eigenen Instinkt. In Texas, im Mittleren Westen, in Alaska – kurzum: in der guten Hälfte der USA, wo die Republikaner traditionell die Oberhand haben, liest man die New York Times nicht und gibt auch wenig auf ihren tollen Ruf.

Und was nun? Der Sarah-Palin-Hype wird irgendwann enden. Die spannende Frage derzeit ist: schon in den nächsten ein, zwei Wochen, sodass vor dem Wahltag am 4. November genug Zeit bleibt, sich wieder mit politischen Sachfragen zu beschäftigen? So wird es vermutlich kommen, die Aufmerksamkeit der Medien für die Wirtschafts- und Bankenkrise in den USA ist ein erstes Anzeichen dafür.

Wenn nicht, dann stehen die Demokraten und steht Barack Obama vor einem ernsten Problem. Beklagen darf er sich trotzdem nicht. Unter umgekehrten Vorzeichen erinnert die neue Lage an die Konkurrenz um die Präsidentschaftskandidatur zwischen Obama und Hillary Clinton. Im ersten Halbjahr war Obama das Medienphänomen – und Clinton scheiterte daran, Sachfragen in den Vordergrund der Debatte zu bringen. Palin ist heute der Obama von damals – und Obama muss sich mit Hillarys Rolle abfinden. Vorerst jedenfalls. Noch bleiben sieben Wochen bis zum Wahltag.

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