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US-Zeichnerin Molly Norris: "Ich habe einen empfindlichen Nerv getroffen"

Die jetzt wegen islamistischer Drohungen untergetauchte US-Zeichnerin Molly Norris trafen die Folgen ihres Tuns völlig unvorbereitet. Ein Porträt.

Die junge Frau auf dem gezeichneten Selbstporträt ist so verwirrt, dass sie nur krause Linien aufs Papier vor sich bringt. Über ihr schweben Sprechblasen, die zeigen, wie die Gedanken in ihrem Kopf durcheinanderrasen: „Ich habe einen gigantisch empfindlichen Nerv getroffen!“ Oder: „Ich bin so durchgedreht, dass ich nicht mal mehr meine üblichen vier Tassen Kaffee trinke.“ Aber auch: „Zum Glück bin ich mit einem Sumo-Ringer verheiratet.“

So hat sich vor kurzem die US- Comiczeichnerin Molly Norris dargestellt. Das verspielt-verzweifelte Bild dürfte auf lange Zeit eines der letzten sein, das es von ihr gibt: Zehn Jahre lang war Molly Norris ein fester Teil der Independent-Kunstszene von Seattle, seit vergangener Woche hat sie offiziell aufgehört zu existieren. Sie lebt auf Anraten der Bundespolizei FBI unter falschem Namen an einem unbekannten Ort in einer Art Zeugenschutzprogramm. So teilte es vor einigen Tagen die alternative Wochenzeitung „Seattle Weekly“, für die Norris bis dahin einen regelmäßigen Strip zeichnete, ihren Lesern mit (mehr dazu unter diesem Link).

Und das alles wegen einer Zeichnung, die als scherzhafter, privater Beitrag zur Meinungsfreiheit gedacht war, aber zu einem Politikum von internationalen Ausmaßen wurde. Norris hatte im April in einem Internet-Cartoon sprechende Alltagsgegenstände dargestellt, die von sich behaupten, sie seien der Prophet Mohammed. Auch hatte sie ironisch den 20. Mai zum „Everybody Draw Mohammed Day“ erklärt. Damit hatte sie auf den Streit um die Serie „South Park“ reagiert, in der der Religionsstifter in einem Bärenkostüm dargestellt worden war, woraufhin die Produzenten Drohungen islamistischer Extremisten erhalten hatten.

Für manche Muslime, die auf das islamische Bilderverbot pochen, war Norris’ Scherz, der via Internet um die Welt ging, ein unerträglicher Tabubruch. Der bis vor kurzem in den USA und jetzt in Jemen lebende Hassprediger Anwar al-Awlaki schrieb in einer in den USA verbreiteten Zeitschrift, Norris sei ein „Hauptziel“ und habe das „Höllenfeuer“ verdient. Sein Zorn wurde noch heftiger, als viele Islamkritiker Norris’ Scherz ernst nahmen und „Mohammed-Zeichen-Tage“ veranstalteten, von denen sich Norris allerdings distanzierte. Ihr Untertauchen hat in den USA jetzt eine Debatte entfacht, ob man Eiferern zu schnell nachgebe. Das Ziel von Terroristen, schreibt die „Seattle Times“, sei nun einmal, zu terrorisieren. „Wir machen es ihnen zu einfach, ihr Ziel zu erreichen.“

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