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USA: Land der unbegrenzten Wut

Amerika wird vorerst unregierbar: Die Wähler wollen weder Obama noch die Republikaner.

Amerika bleibt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Zurzeit aber ist es ein Land der unbegrenzten Wut und der unbegrenzten Verwirrung über die politischen Kräfteverhältnisse. Gegensätzliche Thesen lassen sich mit seriösen Umfragen belegen.

These eins: Präsident Barack Obama ist ein Jahr nach seinem triumphalen Amtsantritt am Ende. Nur ein Drittel der Wähler sieht die USA auf dem richtigen Weg – fast so schlecht wie zuletzt unter George W. Bush. Die Zustimmung zu Obama ist unter 50 Prozent gestürzt. Die Gestaltungsmehrheit hat er mit der Senatsnachwahl in Massachusetts verloren. Wären jetzt Kongresswahlen, würden die Republikaner (laut „Washington Post“) mit 48 zu 45 Prozent siegen. Die Zeitung sieht die Republikaner „auf dem Vormarsch“.

These zwei: Die Republikaner sind die Verlierer. Größer als der Ärger über den Präsidenten ist die Wut über ihr taktisches Verhalten. Obama genießt im Schnitt der Umfragen 47,6 Prozent Zustimmung, der Kongress nur 20,4 Prozent. Wären jetzt Wahlen, würden (laut „New York Times“) die Demokraten mit 45 zu 42 Prozent siegen. „Obama behält Vorsprung“ vor den Republikanern, titelt die „Times“.

Doch die Frage, welche Personen, Institutionen oder Vorhaben wie viel Zustimmung genießen, führt nicht weit. Die stärksten Kräfte sind die Wut auf das System und die Ablehnung des politischen Personals. Das gilt quer durch alle Lager, wenn auch mit Abstufungen. Selbst unter Demokraten ist (laut „Economist“) nur ein Drittel enthusiastisch (4 Prozent) oder zufrieden (30 Prozent). 35 Prozent sind „unzufrieden, aber nicht wütend“, 24 Prozent „wütend“. Unter Republikanern sind 60 Prozent „wütend“ und 31 Prozent „unzufrieden, aber nicht wütend“. Unter Parteiunabhängigen 52 Prozent „wütend“ und 32 Prozent „unzufrieden, aber nicht wütend“.

Nie zuvor lehnten 73,4 Prozent den Kongress ab. Nie zuvor lag die Zahl der Bürger, die ihren Abgeordneten oder Senator nicht wiederwählen wollen, so hoch wie jetzt – über 50 Prozent – und die Unzufriedenheit trifft alle Lager. 1994 und 2006, als Bill Clinton und George W. Bush ihre Mehrheiten verloren, war die Kongresswahl auch ein Protest gegen den Präsidenten. Heute richtet sich die Wut ebenso gegen Prominente der Opposition. Selbst John McCain muss um seine Wiederwahl fürchten.

Diese Stimmung müsste beide Lager zu Kompromissen zwingen, um das Vertrauen der Bürger durch praktische Erfolge zurückzugewinnen. Doch die Wut hat Basisprotest wie die „Tea-Party“-Gruppen hervorgebracht, die jeden Kompromiss mit Obama ablehnen. Sie vertreten nur zehn Prozent, aber die Republikaner trauen sich nicht, sich dem entgegenzustellen.

Erdrückende Mehrheiten gegen alles und zugleich kaum Aussichten, im Kongress eine Mehrheit für ein konkretes Vorhaben zu finden – es sieht so aus, als werde Amerika vorerst unregierbar, jedenfalls bis zur Kongresswahl im Herbst. Doch auch die wird die Machtfrage nicht eindeutig klären.

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